Auf zu neuen -guten- Taten!

Es war erstaunlich, wie schlecht einige Leute ihre privaten Bilder und Kommentare in den sozialen Netzwerken absicherten. Natalia konnte sich jedenfalls einen guten Überblick verschaffen über das direkte Umfeld von Melissa Cartwright.

Sie fand Dutzende und Aberdutzende Fotos, hauptsächlich auf Facebook. Sie zeigten Melissa mit Freunden - auf Parties, am Strand, beim Shoppen. Insofern nichts untypisches. Auch Marc Woodham war auf einigen Fotos zu sehen. Er sah mit seinen Dreadlocks, sonnengebräunter Haut, feinen Gesichtszügen und labberigen Stoffklamotten ein bisschen aus wie eine Mischung aus Beachboy und Hippie/Öko. Auch Megan Payton war auf vielen der Bilder zu sehen, oft in freundschaftlichen Posen. Sie war blond, schlank und stets gut gekleidet. Eine weitere Person, die Natalia auffiel, war eine gewisse Trish Devons, die auf der Mehrzahl der Bilder mit Melissa und Megan dabei war. Auch aus den Kommentaren, die aus übermäßigen Komplimente, dummen Sprüchen, Sorority4ever-Gelöbnissen und Insiderwitzen bestanden, ließ sich schließen, dass die drei wohl ein Gespann aus engeren Freunden gewesen sein mussten - Megan, Trish und Melissa. Marc dagegen war wenn auf Einzelbildern mit Melissa zu sehen, Natalia fand kein Bild, wo Marc und andere Verbindungsschwestern zusammen zu sehen waren.


Megan Payton


Marc Woodham


Trish Devons

Natalia studierte die Posts der drei ausgiebig. Sie versuchte sich dabei ein Bild von den Personen, die dahinter standen zu machen, versuchte sich in das alltägliche Leben, das zwischen den Posts und Bildern stattfand, hineinzuversetzen.

Als sie schließlich genug vom Facebook-Stalken hatte, widmete sie sich ein wenig dem Patentrecht, um in Simmonds Team keine Blöße zeigen.

Im Endeffekt wartete sie auf die Akten vom Gericht.

Spoiler:

Die Patentgeschichte war dröge und sie konnte schon sehen, dass sie da viel Zeit reinpulvern würde in den nächsten Tagen. Zumal Simmonds die Angewohnheit hatte, sich die profilierenden Aufgaben rauszusuchen und langwierige Recherche und Ausarbeitungen den anderen überließ.

Nach einer Weile tauchte dann Monica wieder auf und hatte eine Mappe dabei, die sie Natalia auf den Schreibtisch legte.

"Die bestellten Akten. Woodham ist besonders interessant. Die Scheidungsakten sind ziemlich standardmäßig... und Tau Epsilon war ein bisschen schwierig. Ich hab natürlich die Sorority als Institution recherchiert, war mir aber nicht sicher, welche von den Einzelpersonen ich auch noch angehen sollte. Ich hab einfach mal die momentane Präsidin genommen... eine Megan Payton."

Sie tippte genüsslich lächelnd auf die Mappe.

"Sie hat eine versiegelte Akte... dieses Mädel hat ordentlich Dreck am Stecken aber nen guten Anwalt!"

Natalia lächelte erleichtert und rieb sich die Augen, während sie Simmons drögen Kram zumachte.

"Das sind doch gute Neuigkeiten."

Auf den fragenden Blick Monicas fügte sie dann hinzu:
"Einen Anwalt kann man zumindest besiegen, egal wie gut er ist. Wenn an dem Fall wirklich nicht mehr dran wäre, dann hätte ich Probleme ..."

Sie nahm die Akte entgegen.

"Ich werde es mir gleich mal ansehen. Danke schön."

Monica nickte verstehend.

"Alles klar. Ich bin in der Bibliothek, falls Sie noch was brauchen."
Damit verließ sie das Büro.

In der Mappe waren fein säuberlich sortierte Kopien von Gerichtsakten. Es fing an mit Tau Epsilon - aus den Akten ging hervor, dass das Verbindungshaus eine Villa in Pacific Heights war. In den vergangenen Jahren waren einige Klagen wegen nächtlicher Ruhestörung eingegangen, wenn auch unter der Woche Parties gefeiert wurden. Die Einzelheiten waren da weniger interessant - manchmal musste die Verbindung ein Bußgeld bezahlen, manchmal nicht. Ansonsten gab es da nichts wesentliches. Vermutlich wurden härtere Fälle nicht unter der Institution der Verbindung geführt, sondern unter den Namen der Einzelnen.

Etwa Megan Payton. Da gab es nur eine Seite mit der offiziellen Notiz, dass die Akte versiegelt wurde und nicht eingesehen werden konnte.

Die Scheidungsakten der Cartwrights waren standardmäßig. Beide Cartwrights haben die Scheidung eingereicht - durch den "no fault divorce"-Grundsatz Kaliforniens mussten sie keinen Grund angeben außer "unüberbrückbare Differenzen". Ein Gericht hat die Scheidung dann beschlossen und angeordnet, dass nach dem von beiden Partnern unterzeichneten Ehevertrag zu verfahren sei.

Marc Woodham hatte tatsächlich einen Eintrag im Vorstrafenregister. Vor drei Jahren war er wirksam zu einer Haftstrafe wegen Besitz von und Handel mit Marihuana verurteilt worden. Obwohl die Gesetzgebung in dem Bereich in Kalifornien in den vergangenen Jahren stark gelockert worden war, hatte er es doch geschafft. Aufgrund des Hinweises eines dann als Zeugen gerufenen Studenten, Parker Riley, wurden größere Mengen des konzentrierten Cannabis in Woodhams Wohnräumen gefunden. Mehrere andere Zeugen neben Riley haben dann im Prozess bestätigt, dass Woodham Marihuana an nicht näher benannte Personen verkauft hat auf einer Feier der Delta Kappa Omega-Fraternity. Damit hatte man einen Nachweis über den Verkauf eines Betäubungsmittels, Intention zum Verkauf und Besitz in größeren Mengen. Woodham selbst plädierte für schuldig und bekam zwei Jahre auf Bewährung, weil er kooperiert hatte und das sein erster Verstoß war.

Das war doch alles schon sehr interessant. Die versiegelte Akte ganz besonders. Natalia war nicht der Typ, der leicht aufgab. Sie wollten nicht, dass man die Gerichtsakten durchlas, fein. Dann mussten halt andere Quellen ran. Kurzentschlossen wählte sie die Nummer Paul Triggs. Die Uni mochte nicht sein Revier sein, Familien mit viel Kohle für gute Anwälte aber durchaus. Und selbst wenn er nichts wusste, kannte er womöglich jemanden, der der es tat.

Er meldete sich mit gut gelaunter Stimme nach ein paar Freizeichen.

"Hey, Natalia! Na, was gibts? Mal wieder jemanden verklagt?"

Sie grinste breit. Paul war eine Marke für sich. Jeder Cop, der sich längere Zeit mit dem Mist befassen musste, der Pauls Alltag füllte, wurde normalerweise bald depressiv, aggressiv oder einfach nur noch total distanziert von der Welt. Paul hingegen schaffte es meist gute Laune zu verbreiten

"Ich geb' mir Mühe. Aber du weißt ja, die Schuldigen haben zu gute Verteidiger und die Unschuldigen sind eh längst alle verknackt."

Ihr Lachen wurde etwas trocken, als ihr bewusst wurde, wie viel Wahrheit in dem Scherz steckte.

"Hast du gerade einen Moment Zeit?"

"Tja, wenn ihr Anwälte ein bisschen weniger wie Prostituierte denken würdet... Moment."

Sie hörte das Rollen eines Bürostuhls.

"Aha, der Sergeant ist nicht zu sehen. Klar hab ich Zeit."

Er lachte keckernd und rollte mit dem Bürostuhl... wohl in die Ausgangsposition.

"Was gibts denn?"

Sie räusperte sich, um wieder professionell zu klingen.

"Ich sitze gerade an einem neuen Fall. Und ich versuche da noch zu sortieren, wer zu den Schuldigen und wer zu den Unschuldigen zählt. Sagt dir der Name Megan Payton was? Oder kannst du kurz schauen, ob es die in eurer Datenbank gibt?"

"Megan Payton, Megan Payton", murmelte er nachdenklich.

"Da klingelt irgendwas. Warte mal kurz."

Man hörte Tippen auf einer Tastatur und hin und wieder Mausklicks.

"So! Hier ist ein Eintrag von vor zwei Jahren. Ah... der wurde getilgt."
Er pfiff.

"Okay... pass auf, ich kann dir jetzt nichts dazu sagen. Aber ich kann mich mal umhören... ich glaube, das war Vice Division. Einträge können sie ja redigieren, aber das Gedächtnis von Cops kriegen sie nicht so leicht gelöscht."

"Das wäre super. Wie gesagt, ich versuche erstmal, alle Involvierten zu sortieren. Ein grober Überblick was mit der war, und wer sie vertreten hat, wäre schon super."

Sie wechselte das Telefon in die andere Hand, ans andere Ohr.

"Kannst mich einfach anrufen, falls du was rauskriegst."

"Alles klar, wird erledigt Ma'am!", antwortete er im zackigen Gehorsamston, der natürlich mit Augenzwinkern zu nehmen war.

"Bis dahin... und nicht immer auf die Kleinen, okay?"
Er wartete noch kurz auf ein Abschiedswort und dann war das Gespräch beendet.

Spoiler:

Natalia verabschiedete sich noch von Paul und legte dann auf.

Dann verbrachte sie doch einige Zeit damit, sich Personenprofile zu erstellen. Megan ließ sie vorerst offen. Da wollte sie warten, was noch kam. Aber sie versuchte sich einzufühlen, was für Leute Marc und Trish waren.

Spoiler:

Sie konnte sich durch die sozialen Netzwerke ein bisschen ein Bild darüber machen, wie Marc und Trish wohl so drauf waren. Sollte sie sie persönlich treffen, wäre sie nicht unvorbereitet, wie es normalerweise ist, wenn man eine unbekannte Person trifft.

Etwa zweieinhalb Stunden später klingelte ihr Telefon. Es war Paul.

"Hey! Lustige Geschichte! Das war diese Tau Epsilon-Sache vor zwei Jahren. In diesen Verbindungen wird immer ordentlich Zeug eingeschmissen, aber weil die alle so reiche Mamis und Papis haben, sollen wir sie in Ruhe lassen. Tja, ein paar von den Jungs aus der Vice-Division war das wohl zu blöd. Die haben sich da mal auf die Lauer gelegt, zwei waren undercover drin... und dann gabs ne Razzia bei einer Partie. Megan Payton war eine von denen, die verhaftet wurde. Mehrere Ampullen Heroin waren bei ihr aufm Zimmer. Tja, bei der Verhandlung kam dann raus, dass die einem anderen Verbindungsmädchen gehörten, und die die da nur versteckt hat. Susan, ähm..."

Er kramte irgendwas herum.

"Susan Boothman. Die hat vier Jahre auf Bewährung gekriegt. Naja. Vermutlich hat Paytons Anwalt dann ihr Strafregister tilgen lassen. Weil sie ja zu unrecht verhaftet wurde und so weiter."

"Hmm", macht Natalia nachdem sie den Ausführungen gelauscht hatte.

"Und jetzt deutete wieder erst alles auf Megan hin bis ein anderer einen Teil der Schuld gestanden hatte. Klingt ja fast so, als würde die sich freikaufen.
Na wie auch immer. Nicht zu wild spekulieren", ermahnte sie sich selbst.

"Weißt du wie ihr Anwalt hieß?"

"Ja, hab ich hier irgendwo aufgeschrieben... Marcus Cornell von Cornell & Whitaker. Sind das nicht eure Erzrivalen?", spaßte er.

Tatsächlich aber war die Kanzlei Cornell & Whittaker einer der größten Wettbewerber von Ling & Coleman. Sie hatten ein Büro in San Francisco und ihren Hauptsitz in San Diego.

"Erzrivalen klingt etwas theatralisch, meinst du nicht. Ich würde sagen, wir arbeiten stets hart zusammen um gerechte Ergebnisse von den Richtern zu bekommen", gab sie die politisch korrekte Kanzlei-Vorschiebe-Antwort ab.

"Danke jedenfalls. Du hast was gut bei mir."

"Du meinst, ihr schlagt euch vor den Richtern und der Jury die Köppe ein?", stichelte er gut gemeint.

"Klar, gerne. Überleg dir aber gut, wie du da vorgehst. Hinter dieser Verbindung muss ein ganz schöner politischer Sumpf sein. Die Jungs haben jedenfalls von Oben ordentlich aufs Dach gekriegt, nach dieser Razzia. Mädels mit reichen Eltern sind halt keine Junkies auf der Straße."
Etwas Bitterkeit schwang dann doch in seiner sonst humorvoll-geistreichen Bemerkung mit.

Sie lächelte und versuchte siegessicherer zu klingen als sie es war.

"Na dann mache ich mir bei euch vielleicht ein paar Freunde, wenn Cornell dieses Mal den Kopp einschlage und auch die reichen Gören mal was abkriegen."

"Sieht mir jedenfalls schon danach aus, als sei da wieder was noch ernsteres passiert. Und dieses Mal steht Ling & Coleman auf der Seite der Gerechtigkeit, nicht unser Held von D.A.", ließ sie sich auch zu ein wenig Lästerei verleiten.

"Ich muss dann mal weiter machen. Nochmals danke."

Sie wartete noch die Verabschiedung ab, dann beendete sie das Telefonat und marschierte schnurstraks los zu Susan Lings Büro.

"Das ist mein Mädchen. Gib den reichen Säcken auch ein paar Klatscher von mir mit!"

Er lachte.
"Achja, der D.A. Bin mal gespannt, was dem als nächstes einfällt. Naja, wie gesagt, kein Problem. Man sieht sich... oder hört sich!"

Nachdem sie an Susans Tür geklopft hatte, wurde sie leise aber sehr deutlich hereingebeten.

Die Leiterin der Kanzlei hatte das größte und schönste Büro, geziert von Urkunden und diversen Geschenken wohlhabender Klienten. Sie saß hinter einem monolithischen Schreibtisch auf dem mehrere wegklapp- und einfahrbare Bildschirme zu sehen waren.

Susan studierte eine Akte und blickte erst auf, nachdem Natalia vollständig im Raum war und die Tür hinter sich geschlossen hatte.

"Miss Capello."

Die Akte wurde abgelegt.

"Setzen sie sich. Ihr Urlaub war zufriedenstellend?"

Ihr kühler Tonfall informierte Natalia, dass sie genau drei Wörter zum Thema Urlaub hatte, bevor sie gefälligst zum eigentlichen Thema kommen sollte.