Auf zu neuen -guten- Taten!

Sie blinzelte kurz befremdet.

"Kontakt zu Drogen? Durch Melissa?"

Abwägend legte sie den Kopf schräg.

"Unmöglich ist es nicht... aber anders herum könnte es genau so gut gewesen sein. Ich meine, wenn Melissa nicht durch die Verbindung schon auf Drogen gekommen wäre."

"Ich fragte nur in die Richtung, weil sie meinten, Marc sei eigentlich nicht der gewalttätige Typ. Gerade als Neuling mit Drogen kommt es dann leicht zu starken Veränderungen in der Persönlichkeit."

Sie kritzelte weitere Notizen.

"Ich werde auf jeden Fall bei der Polizei auch wegen Marc Woodham anfragen. Auch wenn mir die Verbindung doch wahrscheinlicher erscheint. Man liest ja auch immer mal wieder über die obskursten und gefährlichen Aufnahmerituale ...", erklärte sie kopfschüttelnd.

Sie nickte langsam.

"Ja... Melissa hat nie davon erzählt, aber diese Initiationsriten bei Verbindungen können hässlich sein... habe ich in einer Doku gesehen."

Sie schauderte unwillkürlich.

"Wenn das Verfahren läuft... dann können Sie Marc doch auch selbst befragen, oder nicht? Er ist ja schon in die ganzen Umstände verwickelt."

"Schon", antwortete Natalia gedehnt.

"Aber wir möchten ja vorher möglichst viel wissen, damit wir das Verfahren auch gewinnen. Außerdem müssen wir uns vor offizieller Erhebung der Klage im Klaren sein, gegen wen es geht. Gegen Marc? Gegen die Verbindung als Ganzes? Oder gegen einzelne Mitglieder? Wenn ja, welche?"

Sie sah ihrer Klientin zuversichtlich in die Augen.

"Das sind alles Dinge, über die wir uns sicher sein müssen, um die erste Hürde zu nehmen: Dass überhaupt ein Gerichtsverfahren eröffnet wird. Immerhin hat die Staatsanwaltschaft ja offensichtlich aufgrund der Ermittlungen der Polizei keine eigene Klage erhoben. Wir müssen also mit mehr kommen als schon offenkundig ist."

"Nicht Marc... ich meine, es ist zwar eher ein Gefühl, aber er gehörte nicht zu diesen Verbindungsleuten."

Sie seufzte.

"Okay, also die, ähm, Anführerin wenn Sie so wollen von der Verbindung heißt Megan... Megan Payton. Die ist in meinen Augen der Kopf der Schlange. Wenn wir irgendwie nachweisen könnten, dass sie diejenige ist, die die Drogen in der Verbindung anschleppt. Sie und vielleicht eine oder zwei Handlangerinnen... meinen Sie, das ergibt Sinn?"

"Ob das Sinn ergibt, oder nicht, ist unwichtig. Wichtig ist, wo wir eine erfolgversprechende Beweislage haben. Es ist natürlich durchaus wahrscheinlich, dass eine der älteren Verbindungsschwestern, die auch die Fäden in der Hand hat, auch die Drogen beschafft. Das alleine wird uns aber nicht viel weiter helfen. Die direkte Verbindung zum Tod Ihrer Tochter fehlt uns dann noch. Wir müssten darlegen, wie sie die anderen Mitglieder zumindest indirekt zwingt, die Drogen zu nehmen. Oder dass sie die falsche Dosierung ausgegeben hat, oder trotz Warnzeichen keine Hilfe gerufen hat oder ähnliches."

Sie nickte langsam, verstehend.

"Aber... wie genau beweisen wir das? Die Mädchen sprechen sich ja untereinander ab. Selbst wenn sie direkt schuld wären, würden sie ihre Aussagen genau so hinbiegen, wie auch bei der Polizei."

"Auch, manchmal sogar gerade, bei abgesprochenen Aussagen lassen sich Fehler finden", ermutigte Natalia Frau Cartwright.

"Und es lassen sich vielleicht noch andere Zeugen finden oder Beweise. Noch stehen wir ja ganz am Anfang."

Sie runzelte die Stirn, als sie das gesagte verarbeitete.

"Dann... glauben Sie, wir haben eine echte Chance? Oder ist es noch zu früh, das zu sagen?"

Sie hob die Tasse an den Mund und trank einen kleinen Schluck Tee.

"Ich will die Verbindung zur Rechenschaft ziehen. Aber ich will keinen sinnlosen Kampf kämpfen... und mir unnötigen Stress sparen."

Natalia nickte verstehend.

"Das ist eine sehr gesunde Einstellung. Ich glaube aber durchaus, dass wir da einen Fall haben, bei dem wir etwas erreichen können. Lassen Sie mich vorab noch ein wenig recherchieren. Und dann den nötigen Papierkram vorbereiten. Dann melde ich mich wieder bei Ihnen, um mit Ihnen die offizielle Anklage durchzugehen. Wie klingt das?"

Sie nickte zustimmend.

"Ja... so können wir gerne verbleiben. Brauchen Sie noch etwas von mir?"

Sie griff nach ihrer Handtasche.

"Sie können mich natürlich auch jederzeit anrufen, wenn sich später noch etwas ergibt."

"Das werde ich", antwortete Natalia zuversichtlich. "Fürs erste sind wir dann fertig."

Die junge Anwältin erhob sich und begleitete Cartwright aus dem Konferenzraum.

"Ach, eine Frage noch", sagte sie beiläufig als sie an der Tür zu dem Flur, welcher zur Lobby führte, waren.
"Was sagt denn Ihr Ex-Mann zu der Angelegenheit?"

Sie seufzte leise, während sie durch die Tür ging.

"Mein Ex-Mann hätte die nötigen Mittel gehabt, den Fall auch ohne Pro Bono auf den Weg zu bringen. Aber er glaubt, dass die Polizei und Staatsanwaltschaft ihre Arbeit richtig gemacht haben und man nun eben mit dieser Realität leben muss. Wahrscheinlich vergräbt er sich in Arbeit."

"Aber er weiß, dass Sie weitere rechtliche Schritte anstreben? Wenn es zur Verhandlung kommt, wird die Gegenseite ganz sicher versuchen, es als Unfall oder gar Selbstmord über Ihre Scheidung hinzustellen. Da wäre es fatal, wenn Ihr Ex-Mann mit seiner Aussage nicht mit uns an einem Strang zieht."

"Doch doch, er weiß schon Bescheid", versicherte sie mit einer beschwichtigenden Geste.

"Ich hoffe auch, dass er uns unterstützt. Er kann etwas, naja, trotzig sein, aber ich glaube nicht, dass er im Ernstfall die Gegenseite mit seiner Aussage unterstützt. Ich werde nochmal mit ihm darüber sprechen."

"Gut. Dann war es das", erklärte sie lächelnd und führte mit einer Hand an der Schulter in Richtung Ausgang.

"Sobald ich mehr weiß oder Fragen habe, melde ich mich bei Ihnen. Sollten Sie Fragen haben oder Ihnen fällt noch etwas ein, dann können Sie mich auch direkt kontaktieren."

Damit gab Natalia noch ihre Karte an die Klientin weiter.

Sie nahm die Karte entgegen und ließ sie mit einer routinierten Handbewegung in ihrer Tasche verschwinden.

"Vielen Dank, Frau Capello. Dann bis dahin!"

Und damit stieg sie in den Aufzug und verschwand hinter den zugleitenden Türen.

Von hinten kam Monica von den Paralegals in Mantel und einer Aktentasche. Vorhin hatte Natalia sie damit beauftragt, die Gerichtsakten zu vergangenen und laufenden Prozessen gegen die Schwesternschaft zu besorgen.

"Ah, Frau Capello. Ich mache mich jetzt auf den Weg zum Gericht. Brauchen Sie noch was anderes, außer die Akten zur Sorority?"

"Oh, sehr gut. Ja, allerdings. Es wäre noch interessant, die Akten zur Scheidung Cartwright einzusehen und falls es etwas zu Marc Woodham gibt, dann das auch."

Sie zwinkerte Monica gut gelaunt zu.

"Ich danke dir."

Damit ging sie in ihr Büro zurück und machte sich an ihre eigenen Recherchen bis Monica mit den Akten zurück kam.

Monica lächelte.

"Wird erledigt. Achja, wussten Sie, dass Frau Cartwright als Haushaltshilfe von Mr. Coleman angestellt ist? Streng genommen nicht ganz legal, dass ihr Fall von uns Pro Bono verhandelt wird."

"Wusste ich nicht", erklärte Natalia erstaunt. "Danke für den Hinweis."

Sie legte den Kopf leicht schräg und fuhr nachdenklich fort.

"Sollte das irgendwann aufkommen, ließe sich aber immer noch für pro bono argumentieren, dass sie von Coleman privat angestellt ist, nicht für die Kanzlei."

Sie zuckte mit den Schultern.

"Ja, wahrscheinlich. Aber es riecht schon irgendwie nach Vetternwirtschaft... nicht gerade im Geiste von Pro Bono, oder?"

"Das stimmt, leider ... ich hoffe einfach, dass dieser Punkt nicht aufkommt", entschied sie mit gezwungenem Lächeln und verabschiedete sich mit einem Winken.

Das schmeckte ihr tatsächlich nicht allzu sehr. Pro Bono war ohnehin schon nicht das angesehenste was man hier machen konnte. Nicht in dieser Kanzlei. Aber dann auch noch einen Pro Bono, der womöglich keiner war? Bei Coleman konnte man ja nie wissen. Natalia traute ihm sogar zu, eine Affäre mit Cartwright zu haben, oder gehabt zu haben, damit den Grund für die Scheidung geliefert zu haben und nun deshalb irgendwie diesen Fall in die Kanzlei geholt zu haben.

"Naja... kommt ganz auf den Anwalt der Gegenseite an und ob der seine Hausaufgaben macht. Am besten wir arbeiten eine Strategie aus, nur für den Fall der Fälle. So, bis später."

Sie winkte ebenfalls und verschwand dann.

Wieder in ihrem Büro angekommen, begann Natalia mit eigener Recherche. Um sich zunächst ein Bild der involvierten Leute zu machen, googelte sie, schaute sich Facebook- und Google-Profile an und begann dann, den Papierkram vorzubereiten, während sie auf Monica wartete.