Auf zu neuen -guten- Taten!

Natalia hatte eigentlich erwartet noch eine Nachricht von Paul mit irgendeinem Kommentar zu dem Bericht zu hören.
Als Sams Stimme ertönte erschrak sie ein wenig und griff dann doch so schnell sie konnte zum Hörer.

"... also, wie erkläre ich das?"
Monica konnte jetzt nicht mehr mithören und sortierte angestrengt irgendwas.

"Als du im Urlaub warst hatte ich eine Gelegenheit, wo ich eigentlich einen Anwalt hätte gebrauchen können. Aber ich konnte dich ja unmöglich stören... also, langer Rede kurzer Sinn: Ich habe eine Plattenfirma gekauft. Keine von den großen... eher eine ziemlich kleine, aber trotzdem eine gute Investition, hoffe ich. Könntest du dir die Papiere dazu bei Gelegenheit mal ansehen? Ich will nur auf der sicheren Seite sein, dass die Firma jetzt auch tatsächlich mir gehört und ich nicht über den Tisch gezogen werde."

Er räusperte sich.

"Ich freue mich auf deinen Rückruf... und noch einen schönen Nachmittag!"

Natalia sah auf die Uhr. Wieviel Zeit blieb ihr noch, bis sie sich fertig machen müsste für die Studentenparty?

Der Gig startete gegen acht Uhr, jetzt war es halb fünf. Fahrtzeiten und Umziehen mit eingeplant hatte sie also noch um die zweieinhalb bis drei Stunden.

Deutlich hörbar atmete sie erleichtert aus. Wenn Sam sagte er hätte eine Dummheit gemacht, konnte das so ziemlich alles sein. Eine Firma zu kaufen, schien da vergleichsweise unspektakulär. Auch wenn Natalia sich lieber keine Gedanken machte, warum und wofür er eine Plattenfirma haben wollte.

"Kannst du mir kurz etwas Privatsphäre geben? Ich muss da zurückrufen."

"Selbstverständlich! Soll ich schonmal mit dem Abgleich anfangen?"

Wenn Natalia nichts dagegen hatte, nahm sie den Polizeibericht und den Mietvertrag mit.

Sie nickte der Anwaltsgehilfin stumm zu und wählte derweil schon Sams Nummer.

Er ging relativ zügig ran.

"Ah, hallo Natalia. Schön, dass du zurück rufst - du hast meine Nachricht also bekommen?"
Er klang fast etwas schuldbewusst.

"Ja, eben gerade", bestätigte sie. "Eine Plattenfirma? Ehrlich? Andere Leute in Shopping-Laune kaufen Schuhe oder DVDs oder so", tadelte sie.

"Ob alles Rechtens ist, kann ich mir natürlich ansehen. Notfalls auch helfen wieder rauszukommen. Aber ich bin kein Wirtschaftsprüfer. Ob es eine kluge Investition war, wird sich zeigen müssen."

"Naja... ich dachte mir, ich erweitere mein Portfolio mal etwas. Warum also keine Plattenfirma - diese spezielle macht auch noch den guten alten Rock'n'Roll", meinte er und man konnte das Augenzwinkern direkt hören.

"Ich hab schon die ein oder andere Idee, wie man diese Investition rentabel gestalten kann. Wie wäre es, wenn du dir die Papiere mal ansiehst? Sagen wir, bei einem Geschäftsessen in den nächsten Tagen?"

"Gern", antwortete sie und versuchte den Gedanken zu verdrängen, dass selbst ein unrentables Geschäft eine lohnende Investition sein könnte. Zur Geldwäsche etwa.

"Morgen nachmittag bin ich noch nirgends fest eingeplant."

"Wunderbar. Dann morgen nachmittag - sagen wir, 16 Uhr?"

Er blätterte in irgendwas.

"Ich würde dich ins Les Savoureuses einladen wollen."
Das war ein sehr hochkarätiges französisches Restaurant in Pacific Heights.

"Das ist eine gute Abwechslung", freute sie sich. Nach einer halben Sekunde fügte sie erklärend hinzu: "Ich muss heute nämlich noch zu einer Studenten-Rock-Party. Dienstlich."

Ihre Stimme ließ keinen Zweifel aufkommen, wie viel sie davon hielt. Da waren ihr gehobene Restaurants und gepflegtes Ambiente sehr viel lieber. Dass sie mal wieder in der Öffentlichkeit mit dem mehr oder minder bekannt-berüchtigtem Gangster gesehen werden konnte, und dieser sie auch noch einlud, dämmerte ihr erst allmählich.

"Sechzehn Uhr. Ich speichere es mir gerade ein", bestätigte sie nochmal sachlich als sie ihren Smartphone-Kalender öffnete.

"Ach? Eine Studenten-Rockparty? Dienstlich?", hakte er amüsiert nach.

"Ich hoffe du überarbeitest dich nicht. Genau, 16 Uhr, Les Savoureuses", wiederholte er nochmal für ihren Terminkalender.

"Dann kannst du mir auch ausführlicher von deinem Urlaub erzählen."

"Mach ich", versprach Natalia. "Und du bring auch wirklich alle Papiere vom Vertrag mit. Und Bilanz und GuV und sonstige Aufstellungen und Unterlagen, die du von der Plattenfirma hast."

Sam war sicherlich kein Idiot. Sie traute ihm natürlich zu, so ein Geschäft ordentlich und gut durchdacht über die Bühne zu bringen. Aber wenn sie schon prüfen sollte, dann wollte sie auch alles prüfen. Gerade beim Goodwill konnte der Verkäufer ja leicht einen nichtsahnenden Interessenten übers Ohr hauen. Wenn der Vertrag unterschrieben war, ließ sich zwar nicht leicht dran rütteln, aber wenn sittenwidrige Prozentsätze drauf geschlagen oder bei der Darstellung des Unternehmens getäuscht wurde, konnte Natalia auch im Nachhinein noch einiges rausholen.

"Ja, sicher, ich bringe dir Kopien von allem mit, die kannst du dann auch mitnehmen."
Er klang zufrieden mit dem Ganzen.

"Dann freue ich mich auf unser Treffen. Bis dahin!"

"Bis morgen", verabschiedete sich die Anwältin.

Dann fing sie an für ihren aktuellen Fall den Papierkram vorzubereiten. Die Anfrage zur Akteneinsicht musste geschrieben werden.

Das war reine Routine. Sie kannte das Formular in- und auswendig und war nach fünf Minuten fertig damit.

Sobald sie damit fertig war, ging sie wieder nach Monica schauen, um mit ihr die Schwesternschaft auf Schwachstellen abzuklopfen.

Monica hatte sich wieder zu ihrem Arbeitsplatz zurückgezogen. Der Polizeibericht war in eine Mappe geheftet, ebenso der Mietvertrag.

"Hey... also, ich hab schonmal kurz alles angeschaut. Im Polizeibericht steht, dass nur fünf Schwestern in der Nacht von Melissa Cartwrights Ableben mit ihr zusammen im Verbindungshaus waren. Und zwar waren das Megan Payton, Patricia Devons, Patricia Lebron, Sonya Piermont, und Jessica Dorsey."
Sie schaute in die Polizeiakte.

"Patricia Devons ist wohl eher bekannt als 'Trish'..."

"Gut", kommentierte Natalia und stellte sich neben Monica um mit in die Akten sehen zu können.

"Dann haben wir drei neue Namen. Ab ans Cyberstalking, dann Anfragen, ob es zu denen polizeiliche Akten gibt und so weiter. Der übliche Drill. Dann versuchen wir uns die Damen heute Abend schon mal anzuschauen und entscheiden und morgen, welche wir versuchen zu knacken."

"Alles klar", meinte sie nickend.

"Willst du dir den Polizeibericht nochmal anschauen? Ich könnte mich dann an die sozialen Netzwerke machen."

"Ja, das mache ich."

Gesagt, getan. Sie nahm sich den Bericht und ging zurück in ihr Büro um im sitzen lesen zu können.

Der Polizeibericht enthielt die Zeugenprotokolle der fünf anwesenden Schwestern. Der Leiter der Befragung hatte natürlich nicht wortwörtlich protokolliert, sondern die Aussagen etwas zusammengefasst. Daneben waren noch kurze Angaben zu den jeweiligen Zeugen. Außerdem war da noch das Protokoll zu Mark Woodham, das in ähnlicher Manier abgefasst war, sowie der Obduktionsbericht und schlussendlich das Abschlussprotokoll, in dem der leitende Ermittler alles nochmal zusammenfasste und als Todesursache eine "aus nicht ganz identifizierbaren Gründen herbeigeführte, durch das Opfer selbst verursachte Überdosis von Heroin mit Todesfolge" klassifizierte. Damit wurde offen gelassen, ob es nun ein unabsichtlicher Unfall oder ein Selbstmord war.

Spoiler:

Da der Freund der Verstorbenen auf jeden Fall von ihr befragt werden würde, begann sie bei dessen Aussage.
War er bei der Überdosis dabei gewesen? Gab es in seiner Aussage Hinweise auf Selbstmord? Warum hatte er sie angeblich verprügelt, dass solche Spuren zurückgeblieben waren?