Lose Enden

Flournoy legte etwas den Kopf schräg.

"Findest du es nicht ein bisschen ungerecht, dass du... oder nichtmal unbedingt du, überhaupt allgemein die Leute... vom Konsilium anders behandelt werden weil sie a) sich einem der genehmen Diamantorden anschließen und das Mysterium b) was von ihnen will - weil sie vielleicht durch Zufall irgendeine tolle Entdeckung gemacht haben?"

Wieder sah er ihn rügend an.

"Ich glaube, das war das einzige und letzte Mal, dass ich in irgendeiner Weise privilegierte Behandlung erfahren habe." erwiderte er trocken.

Diesmal ignorierte er den rügenden Blick und hob etwas ungläubig eine Augenbraue.
"Glaubst du das wirklich?"
Ein Kopfschütteln, begleitet von einer bitteren Miene.

"Er - Amelius - hat versucht dich auszurauben. Und das, obwohl du ihm ja bei der Flucht von unserer Versammlung geholfen hast. Das war er doch? Hat dich ja noch zugetextet..."
Er wartete kurz die Bestätigung und fuhr dann fort.

"Naja, jedenfalls wollte er dich ausrauben. Das ist scheiße. Und es ist ja auch richtig, dass er verdonnert wurde. Leute vom Freien Konzil werden aber tagtäglich vom Mysterium ausgeraubt, und das mit voller Rückendeckung vom Konsilium. Die sind halt nicht so ungeschickt wie Amelius. Aber es passiert... und keiner wird verdonnert. Und das ist RICHTIG scheiße."
Eine Frau am Nachbartisch schaute zu ihnen herüber.

Galen lächelte die Frau entschuldigend an und sah dann wieder zu Fluornoy.

"Du wolltest dich in der Öffentlichkeit treffen..." erinnerte er ihn.

Er wartete einen Moment. Auch ihm hatte das Mysterium übel mitgespielt. Nicht nur Amelius, aber das musste er ihm jetzt ja noch nicht auf die Nase binden. Aber die Radikalität seiner Worte, der plötzliche Wutausbruch überraschte ihn dennoch.

"Du willst Hilfe in diesen Dingen, ja?" hakte er nach. "Wie ich sagte, ich würde hier gerne eine Partnerschaft aufbauen. Im Optimalfall eine von der wir beide gleichermaßen profitieren. Das braucht Vertrauen, wie du so treffend festgestellt hast. Kommen wir also zu deiner Geschichte."

Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme.

"Meine Geschichte... tja, du weißt ja schon, dass Zenobia und Lovecraft Rivalen waren. Trotzdem war sie eine derjenigen, die für eine..."
Er senkte seine Stimme.
"...Verbannung waren und nicht...Schlimmeres. Dann wurde er auch verbannt, und sie konnte nicht mehr so einfach über seine Forschung auf dem Laufenden bleiben. Sie wusste aber, was für Experimente er machte. Also schmiedete sie einen Plan, um ihn und seine Methodik auszuspionieren: Ein frisch Erwachter mit komplexen und tief sitzenden Ängsten-"
Er deutete mit verdrießlicher Miene auf sich selbst.
"-wurde durch...irgendwelche komische Magie so bearbeitet, dass er aussieht wie ein Schläfer."
Er sprach leise, vergewissterte sich aber nochmal, dass auch niemand zuhörte.
"Und dann musste ich nur noch ein bisschen vor Lovecrafts Nase gebaumelt werden, und es kam, wie es kommen musste."

Sein Blick hatte sich zusehens verfinstert und schweifte in die Ferne.
"Ich wusste, dass der Job nicht einfach werden würde - jemanden ausspionieren, der einem in den Kopf gucken konnte. Aber dass ich eine Woche in der Hölle auf Erden zubringen musste, das war mir vorher nicht klar."

Galen nickte nachdenklich. Das ergab durchaus mehr Sinn, als alles andere, was er sich gedacht hatte.

"Er hat dir einen Namen gegeben." stellte er fest.

"Ja, Agoras. Den habe ich natürlich nicht lange behalten."
Er sah sich unbehaglich um.

Dann ist seine Geschichte bestätigt.

"Ich glaube dir." entgegnete Galen nach einer Pause gedehnt. "Mich hatte er kaum bearbeitet, da war es passiert... Falls dich das beruhigt... Seine Methode hatte damit am Ende nichts zu tun."

Er sah wieder auf das Wasser.

"Nur bestärken ihn diese ganzen falschen Erfolge in seinem Werk."

"Das beruhigt mich nicht wirklich."

Verbittert schüttelte er den Kopf.
"Eine Woche... bis der Zauber von Zenobia verflogen war. Selbst als ich gesagt habe, dass ich die Wahrheit schon erkannt habe und erwacht bin hat er mir nicht geglaubt. Er meinte dann 'Du sagst nur die Worte, von denen du denkst, dass ich sie hören will. Aber deine Seele hat die Angst noch nicht überwunden'"
Es war erstaunlich, wie gut er Lovecrafts Duktus imitieren konnte.

Galen nickte verständnisvoll und ehrlich betroffen.

"Tja, das ist meine Geschichte", schloss er und trank einen Schluck Kaffee.

"Und jetzt bin ich hier und kann mir nichts dafür kaufen. Im Freien Konzil labern einige rum, dass ich mir Lovecraft als Mentor nur ausgedach habe, um Publicity zu machen."

Galen schüttelte angewidert den Kopf.

"Ja klar... Und manche Frauen denken sich auch nur aus, dass sie vergewaltigt wurden, um Aufmerksamkeit zu erhaschen..."

Er verzog das Gesicht.
"Das ist wohl eine ähnliche Mentalität."

Spoiler:

Er setzte sich in seinem Stuhl zurück.

"Danke für deine Ehrlichkeit." entgegnete er ihm. Menschenmengen... und wir treffen uns an so einem Ort...

"Hast du schon einmal was von einer Epaine gehört?"

Er nickte langsam.

"Ja, sie war vor mir Lovecrafts einziger Erfolg. Ich weiß nicht, wo sie jetzt ist, aber ich hab Briefe von ihr in Lovecrafts Gehöft gefunden. Glaube jedenfalls, dass die von ihr waren, aufgrund der Unmengen an Verwünschungen und Beschuldigungen, die da drinstanden, von wegen was er ihr angetan hätte."

"Gibt es etwas, was dich in Zukunft besonders interessiert? Damit ich dahingehend die Ohren offen halten kann." fragte er Fluornoy.

"Naja, was eben hilfreich sein kann. Welche neuen Schikanen das Konsilium vielleicht vorhat, wer auf irgendwelchen schwarzen Listen steht und sich daher in Acht nehmen sollte. Von wo man sich besser fern hält, wer im Konsilium vielleicht ein offenes Ohr für Libertins hat...sowas", zählte er etwas zusammenhanglos auf.

Gern hätte er Flournoy noch wegen seines Tributes warnen wollen - doch er hatte Taliesin gesagt, der Inhalt des Gesprächs müsse vertraulich bleiben... Und sich mit dem Hierarchen noch weiter anzulegen war... ungünstig.

"Meld dich bei mir, wenn du was Konkretes für mich hast oder von mir brauchst." bot er an.

Er zog mit zweifelndem Blick die Augenbrauen hoch.

"Und was interessiert dich?"

"Du hast in den Abgrund gesehen und es ertragen. Wenn du feststellst, dass irgendjemand davonkommt... eurem Justizsystem aus den Fingern gleitet. Jemand wie Lovecraft."

Er nahm ihn fest in den Blick. "Zögere nicht."

"Damit das Konsilium denjenigen dann freisprechen kann, wenn er noch was zu bieten hat?", fragte er schnippisch.

Sein fester Blick hielt dem stand.

"Du müsstest dich nicht bei mir melden, wenn du ihn einfach nur beim Konsilium anschwärzen wolltest..." erwiderte Galen und ließ die Implikation dessen so unausgesprochen, wie die Tat die folgen könnte. "Wenn der Moment gekommen ist, wirst du dich schon daran erinnern."

Abrupt wechselte er das Thema.

"Aber halte mich doch auch bitte auf dem Laufenden was die schwarze Liste und dieserlei angeht."

"Okay..."
Er wollte wohl nicht weiter über das Thema nachdenken, also nickte er eifrig beim Themenwechsel.

"Dann werde ich versuchen, die Augen offen zu halten."

Wieder wendete er den Blick in Richtung des Meeres.

"Du hast ein großes Opfer gebracht... Und es tut mir Leid, dass du dafür nichts als Verachtung bekommst." sprach er und wendete sich an Fluornoy. "Ist Zenobia nun deine Mentorin?"

Er schüttelte den Kopf.

"Nicht mehr. Sie war es eine Weile, aber... irgendwann hab ich gemerkt, dass sie mir viel mehr versprochen hat - dafür, dass ich das mache - als ich letztlich bekommen habe. Außerdem ist sie nicht ganz einfach."