Neue Studien

"Du solltest da hingehen. Dieses Freie Konzil klingt doch wie ein netter Haufen."
Sh'aoc lachte keckernd.

"Außerdem, wie willst du mehr rausfinden, wenn du nicht hingehst? Willst du wieder in deinem Zimmer sitzen und ziellos rumspekulieren?"

"Dass es dich da hinzieht, wundert mich nicht."

"Partyverbindungen haben mich an der Uni nur schon nie angezogen. Aber ich werde mich gerne eines besseren belehren lassen."

Der Goetia seufzte.

"Ja... das glaube ich. Du bist schon als Langweiler geboren worden, habe ich manchmal das Gefühl."

"Es gibt viele spaßige Dinge, die ich gerne mache." behauptete Richard. "Schach zum Beispiel und dabei ein schönes Glas Rotwein. Hach ja..."

Sh'aoc rollte mit den Augen und gab ein undefinierbares Geräusch von sich, das trotzdem sehr akkurat eine Mischung aus Genervtheit und Resignation transportierte. Der Goetia schien keine Lust mehr auf ein weiteres Gespräch zu haben und schaute stattdessen aus dem Fenster.

Beim Hotel angekommen, blieb er noch kurz im Auto sitzen, griff sich sein Telefon und wählte die erste Nummer auf seiner Liste: Claviger Aion.

Die Person am anderen Ende ging rasch dran. Es war eine ruhige, männliche Stimme.

"Schönen guten Tag, wie kann ich helfen?"

"Den wünsche ich Ihnen auch. Mir wurde diese Nummer von einer gemeinsamen Bekannten gegeben. Ich bin neu in der Stadt." Richards Stimme hatte wieder einen höflichen, förmlichen Klang angenommen.

"Ja... unsere gemeinsame Bekannte hat das just vor einer halben Stunde erwähnt. Sie wollen sich einen Überblick verschaffen, nehme ich an?"
Er klang freundlich, aber bestimmt.

"So ist es. Ich möchte mir einen eigenen Eindruck von den hiesigen Institutionen machen, ehe ich eine langfristige Entscheidung fälle." Phobos sprach am Telefon absichtlich etwas codierter, falls die staatlichen Überwachungsmaschinen mal wieder laufen sollten.

"Das ist ihr gutes Recht. Würde Ihnen denn ein persönliches Treffen - sagen wir noch heute, am frühen Abend, passen?"

"Das würde es in der Tat." antwortete Phobos. "Wann und Wo würde es Ihnen denn passen?"

"18 Uhr, Café Iluminacion im Mission District", antwortete er ohne Umschweife.

Phobos zog den Schlüssel ab.

"In Ordnung. Vielen Dank für den spontanen Termin."

"Gerne. Bis dahin."
Dann war die Leitung leer.

Richard machte sich eine kurze Notiz. "Illuminacion".

Die Tür des Wagens öffnete sich vor Phobus und er entstieg ihm. Oben im Hotelzimmer angekommen, prüfte er, ob sich etwas im Zimmer verändert hatte, googelte das Café, den Begriff Aion und machte sich frisch. Im Hintergrund lief eine Doku.

"Ich muss gleich los zum Termin." sagte er nachdem er mit allem fertig war und bald los müsste. "Was ist mit dir?"

Er fand die Website des Cafés, wo es Reservierungsmöglichkeiten, die Speisekarte und sonstiges zu sehen gab, was man bei so einem Café erwarten konnte. Insgesamt machte es einen eher hochklassigen Eindruck... allein die Preise sprachen schon dafür.

Eine Google begriffssuche ergab: Aion war ein mmorpg, das sehr gehyped wurde, als es neu war, weil man die Fähigkeit hatte, zu fliegen.

Sh'aoc stöhnte.
"Nicht schon wieder... kann ich nicht hier bleiben? Ich könnte doch der Zimmerdame hinterherspionieren..."

"Du findest es spannender der Zimmerdame hinterherzuspionieren, als fein essen zu gehen?" Er zuckte mit den Schultern. "Das ist in den Missions. Künstlerviertel und sowas."

"Das ist wenigstens actionreich. Außerdem kann ich sowieso nichts essen. Und wie soll ich bitte ein Künstlerviertel genießen wenn du ständig dabei bist?"
Sie sah ihn vorwurfsvoll an.

Richard seufzte.

"Du bist stur wie ein Esel." Ein Blick auf die Uhr. "Ich muss jetzt los."

Er griff sich sein Sacko, warf es sich über.

"Letzte Chance." Phobos öffnete die Tür und machte sich auf dem Weg.

"Seeyaaaaa", rief Sh'aoc ihm hinterher und widmete sich dann erstmal der Doku, die gerade lief.

Phobos machte es ein mulmiges Gefühl das Chaos unbeaufsichtigt alleine zu lassen. Aber vermutlich gehörte es zur artgerechten Haltung ihm auch mal etwas Spielraum zu geben.

Trotzdem entschied er sich dagegen, das Auto zu nehmen. Er wollte immer mal wieder nach Sh'aoc sehen können - und das ging mit ihm selbst als Fahrer nicht.

Also fuhr Richard heute Bus.

Im Bus stank es nach altem Schweiß. Jeder war möglichst bemüht, beschäftigt zu wirken, sei es mit Smartphone, Zeitung oder dem wesentlich selteneren Buch. Lediglich Touristen erkannte man daran, dass sie stetig aus dem Fenster glotzten und besonders innerhalb von Mission immer wieder erstaunte und bewundernde "Ahhhs" und "Ohhhs" ausstießen, wenn der Bus an einem besonders gelungenen Mural vorbei fuhr.

Schließlich stieg er aus und musste noch ein wenig die Straße runter gehen, dann war er da. Die Gegend war schick und aufgeräumt. Es waren deutlich weniger Obdachlose unterwegs als anderswo - jedenfalls deutlich weniger offensichtliche. Vielleicht lag das an den privaten Sicherheitsleuten, die die verschiedenen Läden, Restaurants und Cafés in der Nähe aus einer gemeinsamen Kasse bezahlten. Diese Praxis war in vielen Gegenden der Stadt üblich - vor allem wo Geld floss und die Besitzer dieses Geldes nicht wollten, dass man sie ständig darum anschnorrte oder es ihnen gar mit vorgehaltener Waffe raubte.

Das Café Illuminacion stach besonders hervor. Obwohl es noch nicht dunkel war - man mochte es kaum dämmrig nennen - wurde es bereits von beweglichen, farbenwechselnden Strahlern illuminiert, die wandernde Muster auf den makellos sauberen Wänden erzeugten. Auch drinnen war das Café warm und ansprechend beleuchtet - natürlich abgestimmt mit dem edlen Interieur.

Phobos war durchaus beeindruckt von dem Etablissement. Auf der anderen Seite war das auch nur Schall und Rauch. Ein Statement: Wir sind reich. Das kannst du auch werden...

'I make America great again', schoss es ihm einen Moment lang durch den Kopf. Er schmunzelte bei dem Gedanken.

Im Café angekommen, konzentrierte er sich aktiv auf seine astrale Wahrnehmung. Magie spürte er immer als eine Macht, eine Gewalt. Er spürte die Zerstörungsgewalt. Und das spürte er auch bei Magiern. Das Potential zu zerstören, aber auch zu schaffen. Die Macht.

Von diesem Gefühl ließ er sich leiten. An den Tisch, an dem Aion sitzen würde.

Er spürte definitiv Magie hier - sie war praktisch überall. Er konnte sie nicht zuordnen, selbst, wenn er sich darauf konzentrierte, blieb sie bloß am Rande seiner Wahrnehmung, ein leises Gefühl in der Peripherie. Dafür sagte ihm sein Verständnis für Materie, dass die Eigentümer des Cafés an nichts gespart hatten - die Materialien hier waren allesamt von guter Qualität.

Wie er so durch das Café schaute, sah er einen Mann an einem Tisch sitzen, der sich nochmal von dem ohnehin arkan durchwirkten Hintergrund abhob - Phobos konnte ganze drei Instanzen unterscheiden, die bei diesem Mann wirksam waren. Aber auch die blieben jenseits seiner Fähigkeiten, sie zu deuten.

Der Mann bekam gerade einen Latte Macchiato und einen Apfelstrudel gebracht.
"Vielen Dank", sagte er zu der Bedienung, und Phobos konnte die Stimme vom Telefon wiedererkennen.

Spoiler: