[Beth] Schöne neue Welt

Der Wecker klingelte. Für einen schrecklichen Moment dachte sie, es sei alles nur ein Traum gewesen. Aber dann erinnerte sie sich. Und sie spürte dieses streichende Gefühl um sich her - diese Magie, Bindung des Schicksals oder wie Proxy sie genannt hatte. Es versprach, ein spannender Tag zu werden!

Müde gähnte sie. Warum klingelte das Ding auch immer so früh...? Schule. Sie grinste. Die konnten heute lange auf sie warten.

Mit mehr Energie, als sie sonst morgens aufbringen konnte, ging sie ihre morgendliche Routine durch, während ihr Kopf auch wach wurde und sie mit mehr oder weniger sinnvollen Traumfetzen bombardierte. Sie selbst, die einen Gang entlanglief. Proxy in einem Pc, na, da würde er sich wohlfühlen... Ba'al... in einem Bett. Das war verwirrend gewesen.

Wieder klatschte sie sich kaltes Wasser ins Gesicht. Dummer Traum.

Sie betrachtete kurz ihr Spiegelbild. Sie sah nicht tot aus, das war doch schon einmal was. Ein bisschen Schminke ließ auch noch den letzten Anschein von Müdigkeit verschwinden.
Sie war bereit für den Tag.

Im Esszimmer bot sich das übliche morgendliche Bild. Ihr Vater las Zeitung und schüttelte dabei immer wieder den Kopf über 'die da oben'. Charity malte auf dem Boden in ein Malbuch, solange ihre Mutter noch damit beschäftigt war, das Frühstück fertig zu machen.

"Guten Morgen, Bethany", grüßte ihr Vater, ohne wirklich von der Zeitung aufzusehen.

"Morgäään!", rief Charity.

"Guten morgen", grüßte Beth in die Runde.
Dann stahl sich ein Grinsen auf ihr Gesicht und sie umarmte Charity.

"Guten Morgen, du Monster", sagte sie  während sie die Umarmung so weit los ließ, dass Sie Charity kitzeln konnte.

Charity kicherte und rollte sich auf dem Boden herum.
"Selber Monster, selber Monster!", rief sie fröhlich.

"Bethany!"
Ihre Mutter klang schon wieder anklagend.
"Deine Schwester ist kein Monster. Sag so etwas nicht! Siehst du nicht, wie schnell sie sowas abschaut?"

"Sorry, Mum", rief Beth zu ihr herüber.

"Und du bist natürlich ein ganz tolles, kleines Mädchen", meinte Beth zu Charity. Sie zwinkerte Chari kurz zu und flüsterte ihr aus dem Mundwinkel noch zu:
"Monsterschwester"

Dann setzte sie sich gesittet an den Tisch. Es müsste alles so aussehen wie immer...

Das Frühstück verlief wie sonst auch immer und endete damit, dass der Familienvater aufstand, allen einen "gesegneten Tag" wünschte und sich dann alles etwas zerstreute. Beth machte sich also mit ihrer Schultasche auf den Weg.

Vor ihrem Haus wäre sie fast von einer Frau in einem dunklen Mantel umgerannt worden. Diese trug ein schwarzes Kopftuch und eine Sonnenbrille. Ohne sich großartig zu entschuldigen, ging die Dame zügig weiter. Beth spürte etwas an ihr... war da ein feiner Schleier, der ganz sacht hinter der Weggehenden herwogte? Beth hatte definitiv das Gefühl, dass Magie im Spiel war.

Beth überlegte kurz, dass das wohl genau die Situation sein musste, auf die sich ihr komischer schicksalsträchtiger Eid bezog. Trotzdem folgte sie der Frau erst mit einigem Abstand. Ihre Eltern würden wahrscheinlich misstrauisch werden, wenn sie nicht den direktesten Weg zum Schulbus nehmen würde... also musste der Schlenker ohnehin sein.

Die Frau ging ein Stück die Straße entlang. Dann sah sie sich um - durch die Sonnenbrille war es nicht genau erkennbar, aber vermutlich hatte sie Beth gesehen. Die beschleunigte ihre Schritte.

Okay. sie würde nicht nachforschen. Egal wie neugierig sie war.
Am Ende war das nur doch wieder ein Test. Um zu zeigen wie furchtbar kindisch sie war... ja, genau. Proxy war Schuld. Warum sollte ausgerechnet jetzt jemand mit etwas magischem an sich, der sich auch noch auffällig verhält vor ihrer Tür entlang laufen? Er hielt sie scheinbar für einen richtigen Dummkopf.

Sie zog ihren Rucksack grade und ging normal weiter.
Davon lass ich mir jetzt nicht die Laune verderben. Alles noch besser als Chemieunterricht.

Ba'als Wagen stand schon an der verabredeten Stelle am Straßenrand.

"Morgen", grüßte er sie, als sie einstieg, und deutete auf einen Becher Kaffee, der in dem Becherhalter vor dem Schaltknüppel steckte.
"Hab dir was zum Wachwerden mitgebracht."

"'n Morgen". grüßte Beth lächelnd. Kaffee! Das würde ihren Kopf dann hoffentlich restlos wach machen. Heute würde sie morgens den versäumten Schlaf der Nacht wohl eher schlecht wieder wett machen können...
"Und danke, du bist meine Rettung!"

"Kanns immer noch nicht glauben, dass deine Eltern dich keinen Kaffee trinken lassen. Ich glaub, die verwechseln dich manchmal mit deiner kleinen Schwester."
Er schnaubte ein kurzes Lachen, dann legte er den Gang ein und die Fahrt ging los.

"Und? Inzwischen alles ein bisschen gesackt?"

Beth nickte bestätigend und nahm einen großen Schluck Kaffee. Hmmm... Zum Glück war der nicht mehr ganz so heiß, sonst hätte sie sich wohl die Zunge verbrüht.

"Ja... so ganz so hysterisch wie gestern bin ich nicht mehr", erwiderte sie Beth, heute schien das gar nicht merh so mies zu sein, dass er das von ihr - gedacht hatte.
"Auch wenn das alles trotzdem noch etwas unglaublich scheint. Und ziemlich verrückt"

Er steuerte den Wagen so zügig es ging durch die verkehrreichen Straßen - der Berufsverkehr aus den Avenues raus in Richtung Osten war bereits in vollem Gange.

"Du wist staunen, wie viel unglaublicher und verrückter das noch wird. Das sage ich... und ich kenne nur die Spitze des Eisberges."

"Tja, zumindest wirst du nicht unter dem Eisberg ertränkt", versuchte sich Beth an einer humorvollen Antwort.
"Und das, nachdem du ein Foto von der Spitze des Eisberges bekommen hast"

Sie schaute aus dem Fenster, um nicht die ganze Zeit Ba'al anzustarren. Das war sie ja wieder, die altbekannte Unsicherheit....

"Wer weiß, wer weiß. Ich versuch jedenfalls, mit über Wasser zu halten."

Von sich aus war Ba'al nun nicht weiter besonders gesrpächig, sondern steuerte den Wagen konzentriert durch den Verkehr, bis sie das Anwesen in Marina erreichten.
"So. Bereit?"

"Besser wird es heute nicht mehr", Beth verzog ein wenig das Gesicht. "Kommst du eigentlich mit?"
Sie deutete vage in die Richtung von Anwesen, Garten... und Proxys Hütte. Ob der wohl immer noch sauer war? Naja, Freunde würden sie wohl nicht mehr werden...

"Ich hoffe, du hast keinen Ärger mit ihm bekommen?", fügte sie noch mit deutlich leiserer Stimme hinzu. Eine Frage, die sie sich die ganze Fahrt über verkniffen hatte.

Er nickte.
"Ja... ich mach den ganzen Kram, auf den Proxy keine Lust hat. Und bei diesem alten Haus fällt schon einiges an, bevor es so richtig das neue Hauptquartier für das Labyrinth werden kann."

Auf die zweite Frage hin seufzte er.
"Naja, lass es mich so sagen... belobigt wurde ich nicht. Aber Proxy gibt nicht genug auf meine Meinung, um ernsthaft sauer zu sein, dass ich ihn für nen Psychopathen halte. Richtig Ärger hätt ich glaube nur bekommen, wenn du irgendwie ausgebüchst wärst."
Er grinste kurz.

"Du bist hier also für den Haushalt zuständig?", Beth zog die Augenbrauen hoch. Sie versuchte sich Ba'al vorzustellen, der ... Hausmann-Dinge tat. Kochen. Staubsaugen. Irgendwie amüsierte sie die Vorstellung. Auch wenn es ...logisch schien, dass er auch so etwas tat.
"Und was soll das mit dem Labyrinth jetzt heißen?"

Es fing also schon wieder an mit den ganzen Dingen, von denen sie nichts wusste. Naja, zumindest hatte sie Ba'al nicht in Schwierigkeiten gebracht, das war doch schon einmal etwas. Auch wenn Proxy wirklich ein überheblicher, ...
Sie atmete tief durch.
"Wir sollten... dann wohl mal..."

Er grinste.
"Haushalt nur, wenn keine aus dem 9. da sind, die das übernehmen. Nee, ich mach schon eher die Aufgaben, für die man jemanden braucht, der weiß, dass im Grunde alles Fake ist an den Neun Kreisen. Achso das meine ich mit Labyrinth. Die Neun Kreise Baphomets sind ein Labyrinth. Wenn du mehr dazu wissen willst, frag Proxy, der hat sich das ausgedacht."

Sie stiegen aus und gingen zum Anwesen. Ba'al hielt genau auf den Haupteingang zu und schloss auf. Es war sehr ruhig, als sie zum Speisesaal gingen, der direkt hinter dem großen Foyer lag, in dem der Meister gestern seine Rede gehalten hatte. Auf dem langen Tisch lagen diverse Gegenstände, die ordentlich aufgereiht waren, dazu ein kleiner Stapel mit Büchern.

Proxy saß am Ende des Tischs an seinem Laptop.

"Guten Morgen", grüßte er unterkühlt.
"Ba'al, ich habe dir gerade Aufgaben geschickt. Erledige die bitte in den nächsten zwei Stunden."

Ba'al nickte nur und zog sich zurück.

"Guten morgen", grüßte Beth brav und blieb erst mal wie bestellt und nicht abgeholt vor dem Tisch stehen. Dabei wanderte ihr Blick einmal schnell über alle Gegenstände auf dem Tisch, bevor sie die Bücher fixierte. Was war das für Titel?
Und - Proxy hatte Bücher? Sie schüttelte den Kopf. Natürlich. Irgendwie hatte es sich in ihrem Kopf festgesetzt, dass er sein Wissen nur aus irgendwelchen Dateien bezog. Der Mann im Pc. Das war mal wieder nicht sehr logisch...

Sie konnte nur die zwei oberen Titel der Bücher entziffern: Eines hieß Kosmologische Studien, das darunter trug den Titel Runen: ein Sammelband. Die Gegenstände umfassten einen Gehstock mit schwerem Eisengriff, drei bronzefarbene Münzen, ein Trinkschlauch aus Leder, eine zusammengerollte Peitsche und ein kleiner Taschenspiegel mit poliertem Eisenrahmen.

Als nächstes spürte Beth, wie das streichende Gefühl um sie herum abnahm. Die magische Wirkung, die sie bis eben umgeben hatte, war nun versiegt.
"Heute sollst du erste, vorsichtige Praxisschritte in der Kunst der Magie unternehmen. Allerdings sind vorher einige theoretische Rahmenkenntnisse erforderlich."

Er zeigte auf das oberste Buch auf dem Stapel, die Kosmologischen Studien.
"Bevor wir anfangen, solltest du dir das erste Kapitel aus diesem Buch aneignen."

Oh... war das etwa ihre Leseliste? Da wäre sie ja... ewig mit beschäftigt.
Sie schaute das Buch kurz skeptisch an. Kosmologische Studien also, wenns denn sein muss...

"Okay", sagte sie. Zumindest durfte sie danach wieder Magie wirken. Sie nahm sich das Buch und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Während sie es aufschlug, sagte sie betont gleichmütig:
"Das war übrigens sehr durchschaubar mit der Frau heute morgen"

Er schaute sie fragend an.

"Welche Frau?"

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