[Galen] Kein Verschnaufen

"Herein."

Proxy, der nicht aussah, als hätte er in den letzten zwei Tagen geschlafen, saß vor seinen Monitoren und trank einen Energy-Drink. Er drehte sich auf dem Stuhl um.

"Ich glaube, ich hab was. Roger Pryor, unser Redakteur, hat E-Mailkontakt mit einer anonymen Person. Da steht unter anderem Zeug drin, das die Zeitung dann veröffentlicht hat, und kürzlich verhandeln sie über neue Infos. Außerdem hat er jede Menge Schulden, eine und zwei überlastete Kreditkarten. Und damit meine ich nicht normale Schulden für das Haus oder so - die sind auf dem gemeinsamen Konto der Eheleute verbucht. Er hat aber noch zwei weitere Konten bei anderen Banken nur unter seinem Namen, wo nochmal mehr als das Doppelte aussteht. Fraglich, ob die Ehefrau was davon weiß."

Spoiler:

"Das ist gut. Hast du seltsame Aktivitäten durch die Wanzen bemerkt?" fragte er ihn. "Ich traf auf eine alte Frau aus Materie, Kraft und Wahrheit, die sich der Operation mit einem Sturmgewehr in den Weg stellte, einen Peilsender auf unserem Fluchtwagen installierte und eine Menge übernatürlicher Wahrnehmungsfähigkeiten hatte. Gut möglich, dass sie die Wanzen entdeckt hat oder entdecken wird und zurück verfolgt..."

Dann dachte er nach.

"Außerdem gibt es Mutmaßungen über Mammon-Aktivitäten in den Häfen Oaklands. Womöglich haben wir es bei dieser massenhaften Verschuldungen mit einem Agenten des Mammons zu tun... Gleichzeitig könnte Greensheet selbst eine Mammon-Institution sein. Beide Thesen widersprechen sich also."

Proxy wirkte etwas erstaunt.

"Mit einer derart gelagerten Komplikation hatte ich nicht gerechnet. Bislang ist mir aber nichts Ungewöhnliches bei den Wanzen aufgefallen. Ich werde aber zur Sicherheit mehr ein Auge auf das ganze haben und mich in ein paar Tagen aus dem System zurückziehen."

Langsam nickte er.
"Bislang finde ich die Entwicklungen noch nicht klar genug, um eine These zu bevorzugen. Wir haben jetzt allerdings verschiedene Optionen offen."

"Nun, eine dritte, nicht erwachte Partei ist womöglich besser, als eine Konfrontation mit den Sehern des Throns." Eine dritte Partei... Die womöglich einer Banisherin hilft?, dachte er nach. Immerhin... ist es keine Magierin?

"Die Deanonymisierung des E-Mail Besitzers ist das Ziel der Optionen oder lediglich eine der Optionen?" hakte Galen nach, der zwar dazu mehrere Ansätze sah, aber gerade wenig andere Alternativen.

"Der E-Mailbesitzer scheint die greensheet-interne Quelle zu sein, daher muss das Ziel sein, diese Person zu finden. Am besten, ihrer habhaft zu werden. Hinsichtlich der Vorgehensweise sehe ich verschiedene Möglichkeiten."

Er strich sich übers Kinn.
"Wenn die Person nur halbwegs Verstand hat, bekommen wir keine nennenswert neuen Informationen, wenn ich den E-Mailaccount hacke. Das kann ich pro forma natürlich trotzdem tun. Auf die Dummheit der Menschen zu hoffen, hat mich selten enttäuscht, aber es sollten Ausweichmöglichkeiten vorhanden sein."

"Sein Kontaktmann muss andere Daten über die Quelle haben. Selbst wenn er sie nicht persönlich kennt, hat er womöglich Bankverbindungen oder etwas ähnliches. Und ein Druckmittel haben wir nun auch."

"Wir könnten selbst Kontakt aufnehmen - eine Mail schreiben. Uns als rivalisierende größere Zeitung mit einem besseren Angebot ausgeben. Die Frage ist, ob der Mailbesitzer vertrauensvoll genug ist, sich preiszugeben."

Nachdenklich starrte er an die Decke und drehte sich etwas auf dem Stuhl.

"Oder wir benutzen unser Druckmittel und lassen Pryor ein Treffen vereinbaren oder so."

"Pryor einzubinden hat den großen Vorteil, dass er bereits eine etablierte Beziehung hat. Das erzeugt weniger Misstrauen. Womöglich können wir Pryor auch dazu bringen, sich mit seiner Quelle in San Fransisco zu treffen. Dann könnten wir direkt magisch investigativ tätig werden - auch ohne, dass wir selbst in Erscheinung treten." dachte er laut nach.

"Das ist jedoch das Szenario, bei dem am meisten schief gehen kann."

"Dafür sind wir durch diese Vorgehensweise vom Geschehen entfernt. Ich nehme an, wie ich schätzt auch du die Position im Hintergrund."

Er nickte langsam.
"Und... sollte es nicht funktionieren, können alternative Ideen zum greifen kommen."

"Gut... Deiner Erfahrung nach sind solche Drohungen auf welchem Kanal effektiver: Mündlich oder schriftlich?"

"Mündlich minimiert das Erzeugen von Beweismitteln."

"Dann brauche ich eine Nummer. Und eine Uhrzeit zu der er ungestört ist... Auf dem Rückweg von seiner Arbeit beispielsweise."

Stimmenverzerrer wirken einschüchternd, oder ist das ein Hollywoodklischee?

"Apropos Nummer: Wenn du mir die der Neuen gibst, werde ich dir an der Stelle auch Aufsichtsmühen abnehmen. Tapio hat gesagt, sie wäre wohl frech gegenüber Angus gewesen."

"Während der Arbeit, etwa zwischen 9 und 17 Uhr, ist er als Redakteur relativ ungestört, allerdings werden Anrufe über das Bürotelefon aufgezeichnet. Du musst ihn mobil anrufen."
Er rief die Nummer auf einem der Monitore auf und zeigte sie Galen.

Auf den zweiten Punkt hin konnte man fast den vagen Anflug eines erleichterten Aufatmens erkennen.
"Nun, der Verdacht hat sich erhärtet, dass sie als Hüterin nicht geeignet ist, auch wenn sie rein formell gesehen den schwarzen Schleier passiert hat. Im Moment lassen wir sie spüren, dass magisches Wissen nicht kostenlos ist, und wir auch kein karitativer Verein sind. Bis jetzt verhält sie sich seitdem ruhig. Geht brav zur Schule."

Galen nickte besonnen. "Gut für sie." Damit meinte er sowohl ihre Uneignung für die Hüter, als auch, dass sie sich ruhig verhielt.

"Ich werde sie nicht als Vertreter der Hüter ansprechen, sondern als Privatperson. Dadurch sollte ihr klar sein, dass die Hüter nichts zu verschenken haben."

Er nickte.

"Ich muss gestehen, ich wäre froh, sie los zu sein."

"Ich kann dir nichts versprechen." erwiderte er. "Aber ich sehe, was sich machen lässt."

"Mehr kann ich kaum erwarten."

Er rieb sich die Nasenwurzel und schloss kurz die Augen.

"Ich muss noch einige Dinge erledigen... wenn es weiter nichts zu klären gibt, können wir die Besprechung denke ich beenden."

"Da wäre noch eine Sache... Ich möchte eine Tarnidentität im medizinisch-psychotherapeutischen Sektor etablieren. Ich erhoffe mir, darüber Kontakt zu möglichen Zeugen übernatürlicher Vorkommnisse zu erlangen. Ich könnte dies auf herkömmlichen Wege erreichen, indem ich mein Studium abschließe und eine Stelle annehme. Das würde jedoch, mit den psychotherapeutischen Zusatzausbildungen etwa ein Jahr dauern. Dementsprechend brauche ich deine Hilfe - entweder beim Fälschen einer ganzen Identität oder lediglich der Abschlüsse." erklärte er. "Fachlich sehe ich diesbezüglich keine Probleme."

"Sollte ich dir die Neue abnehmen, hättest du womöglich Zeit für ein derartiges Projekt?" spekulierte er.

"Hm. Eine wasserdichte ID dauert und erfordert einiges an Arbeit. Ich kann dir was Solides anbieten, was durchaus einer Prüfung standhält. Die rigorosesten Nachforschungen solltest du damit aber nicht provozieren."

Ein nachdenkliches Kopfkratzen.
"Willst du dein Aussehen dafür ändern lassen?"

"Darüber habe ich auch nachgedacht... Wenn dem so wäre, müsste der Zauber so eingerichtet werden, dass er sich unterdrücken lässt." dachte er nach. "Wenn ich einfach nur einen Abschluss fälschen würde, wäre das unnötig, würde mich jedoch angreifbarer machen." argumentierte er weiter.

"Die dritte Möglichkeit wäre eine magische Maske."

"Sprich das am besten mit Tapio und Kivutar ab. Es gibt solche Masken, aber ich bin nicht der richtige Ansprechpartner zu dem Thema. Ich beginne dann mit den Vorbereitungen für die ID, wenn es eine Option mit einem radikal anderen Aussehen werden soll, brauche ich Bilder."

"Danke."

Er ließ sich noch Beths Nummer geben, ehe er ging.

"Viel Erfolg. Ich melde mich dann bei dir wenn ich etwas von der Entscheidung der Neuen weiß. Bleib auf der Hut."

"Keine Ursache. Bleib im Hintergrund."

Damit drehte er sich wieder zu seinen Monitoren und begann routiniert zu tippen.

Galen ging zurück zu seinem Wagen und sah auf seine Uhr. Neun Uhr dreißig... Mittagspause an den meisten Schulen.

Warum nicht einfach jetzt schon bei Beth anrufen? Im Unterricht war ihr Handy sicher stumm.

Er klingelte durch.

"Auch gut. Bis gleich." verabschiedete er sich schließlich, schickte Beth die Nummer Kuruntas und legte auf.

Dann rief er Proxy an.