[Präludium] Summerbreak

"Hmm."

Er wirkte nachdenklich.

"Ich glaube, wir rufen es hier her. Ich will nicht, dass du von deiner ersten Astralreise abgelenkt wirst."

"Alles klar." stellte Richard fest. Natürlich fand er das Ganze nicht gerade berauschend, Aber er nahm es mit Fassung und vor allem mit dem Gedanken, dass Lovecraft auch etwas für seine Lehrstunden von ihm zurück bekommen wollte... Auch wenn Rich der Meinung war, dass er bereits genug von ihm bekam - Lovecraft teilte die sicher nicht. Und bei einer Diskussion hätte er ohnehin den längeren Hebel.

"Gut!"
Er klatschte aktiv in die Hände und stand auf.

"Dann fange ich mal mit den Vorbereitungen auf dem Dachboden an."

Dort befand sich eine kleine Manaquelle - das Mana lief an den alten Dachbalken herunter und wuchs als Tass in Form von kleinen Efeuranken, deren Blätter man im Notfall herunterwürgen konnte, um knappe Reserven aufzufüllen.

Lovecraft begab sich in die Werkstatt, um seine Werkzeuge zusammen zu sammeln. Normalerweise führte er auch da seine Rituale durch - nicht auf dem Dachboden.

Richard hatte eine ungefähre Ahnung, wie lange so eine Beschwörung dauern konnte, also griff er sich eines der Bücher Lovecrafts und setzte sich oben auf dem Dachboden auf einen Schemel und wartete ab.

"Sag Bescheid, sobald du mich brauchst." sagte er, als der Lehrmeister den Dachboden erreichte.

Lovecraft brummte zustimmend, während er einen Tisch aus einer Ecke des Dachbodens zerrte und unterhalb der Quelle aufstellte. Darauf wiederum deponierte er die nötigen Utensilien. Eine große Schüssel, die er mit Wasser füllte und sein Khukuri, ein gekrümmtes Messer, das sein liebstes Werkzeug war und auch nur deshalb einen Platz hier hatte - seine Symbologie passte nämlich nicht wirklich zu einer goetischen Beschwörung, soweit Rich das nachvollziehen konnte.

"Du kannst dich da hinsetzen."
Er deutete auf eine Stelle in der Nähe des Tisches, wo der Schemel Platz finden konnte. Nachdem Richard sich gesetzt hatte, laborierte der Mastigos noch etwas herum, summte leise und rückte Gegenstände an die richtige Stelle.

"So!", sagte nach einer kurzen Weile zufrieden.
"Alles bereit... ich beginne jetzt mit dem Zauber."

Er nahm das gekrümmte Messer zur an, trat an Rich heran und schnitt eine kleine Strähne von seinen Haaren ab, drehte sich zum Tisch und streute die Haare in die Schüssel, wo sie sich mit dem Wasser vermischten. Dann begann er leise aber bestimmt in der hohen Sprache zu Sprechen.

"Spiegel des Bewusstseins. Herabsinken. Hinaufsteigen. Ding aus Luft. Komm herbei."
Richard wusste instinktiv, was die Worte bedeuteten. Das wusste er, seit er erwacht war. Lovecraft hatte ihm auch beigebracht, wie man diese Sprache gebrauchen konnte, um die Mächte der Arkana zu schärfen und zu stärken. Der Mastigos deklamierte jetzt in unterschiedlichen Variationen immer wieder das gleiche. Manchmal machte er Pausen, benetzte Richard mit ein wenig Wasser aus der Schüssel oder berührte ihn an Kopf und Schultern. Hin und wieder spielte er mit dem Messer herum. Das Ritual dauerte an.

Die Faszination Lovecrafts für dieses Messer hatte Richard nie so recht verstanden. Aber es war halt sein Ding und musste auch niemals Seins werden. In letzter Zeit hatte Phobus ohnehin immer wieder bemerkt, dass er nicht mehr viel von Lovecraft würde lernen können. Dieser war so in seiner Welt, dass er sich für nichts anderes als Angst und der Überwindung ihrer beschäftigen wollte... 'Phobus' hingegen hatte inzwischen selber eigene Interessen entwickelt.

Gefasst und abwartend saß er auf dem Stuhl und ließ das Ritual über sich ergehen. Das Buch hatte er mittlerweile jedoch zur Seite gelegt und beobachtete seinen Meister bei der Beschwörung. Er selber hatte erst einmal einen Geist beschworen und so war das hier vielleicht doch ganz lehrreich - vor allem, wenn diese Goetia vielleicht Unterbewusstes und Vergessenes wieder zu Tage fördern konnten. Gestorbene Erinnerungen fand Phobus besonders faszinierend.

Lovecraft war eine Weile beschäftigt gewesen, bis es schließlich auf den Höhepunkt des Rituals zuging. Die Mantras der hohen Sprache wurden eindringlicher, befehlender - und schließlich spürte Richard das Gefühl der Vorsicht um Lovecraft und dann auch ihn selbst herum, das er immer verspürte, wenn das Übernatürliche in seiner Umgebung wirkte.

Lange hatte er jedoch nicht, um sich darauf zu konzentrieren. Mit einem Mal verspürte er einen unglaublichen Brechreiz. Er konnte nicht an sich halten und erbrach... einen gräulichen Klumpen? Lovecraft schaute interessiert auf das Ergebnis seines Zaubers. Richard musste wieder würgen - schwarzgrauer, schlieriger Schleim und weitere graue Fetzen klatschten auf den Boden und begannen, sich zu verformen und zusammenzufügen. Indessen waren Richs Innereien ein einziger Krampf. Immer mehr und mehr schüttelte es ihn, bis er das Gefühl hatte, er musste schon sein eigenes Körpergewicht an gräulicher Masse ausgekotzt haben.

Dann war es vorbei. Keine Krämpfe und kein Erbrechen mehr. Dafür auf dem Boden eine grauschwarz-wabernde Masse, die den beiden Magiern um die Füße strich. Langsam baute sich das Zeug auf, türmte sich aufeinander, bis es beinahe so groß war wie Rich selber. Ein verzerrtes, surreales Gesicht ohne Kohärenz wurde sichtbar, verlief, bildete sich neu, verzerrte sich, teilte sich auf und verschmolz wieder. Schwarze Augen stierten Richard aus diesem Gesicht an, während die Masse bedrohlich gurgelte und zischte.

Mit Tränen vom Erbrechen in den Augen, wischte er sich flüchtig mit der Handkante über den Mund. Erschöpft richtete er sich auf und stellte sich der Elendsgestalt gegenüber auf - und wirkte einen kleinen Moment fast ebenso hundeelend.

"Ach du graue Grütze. Na, du bist mir ja eine Schönheit..." stellte Phobus gefasst und überaus trocken fest. "Manchmal zumindest... Aus welchen Untiefen bist du denn gekrochen?"

Waberndes Lachen scholl tief aus der sich windenden Masse hervor.

"Aus dem widerlichen Pfuhl deines Kopfes."
Die Stimme war tief, grollend, kraftvoll... aggressiv.
"Wo ich die Schönste bin unter all den Neurosen, die sich da versammeln."

Die Stimme ließ ihn innerlich kurz zusammen zucken - nach außen trug er davon aber nichts.

"Na herzlichen Glückwunsch." gratulierte er ihm vor Sarkasmus triefend. "Wie du vielleicht weißt, wollte Lovecraft, dass ich dich kennen lerne."

Er deutete knapp in seine Richtung. Die Gestalt war natürlich abtsoßend - aber das waren Gespenster auch - und er konnte sich an widerliche Eindrücke ohnehin gut gewöhnen.

"Also... Wer bist du?"

"Ich bin Sh'aoc."

Das Ding drehte sich zu Lovecraft um.

"Elender Eindringling. Verschwinde oder vergehe!"


Der Mastigos wich etwas zurück und lächelte unsicher.
"Ich glaube, das ist mein Stichwort..."
Dann zog er sich zurück zu den Dachbodenstiegen.

Das Ding mit dem unaussprechlichen Namen drehte sich wieder zu Phobos.

"Und, wie nennst du dich dieser Tage?"

Phobus sah Lovecraft hinterher und widmete sich dann wider dem 'Ding':

"Wir sind doch per du." sagte er dann und legte den Kopf schräg. "Also nenn' mich doch dieser Tage einfach Rich. Mit Phobus kann ich mich noch nicht so recht anfreunden, aber Rich hasse ich noch mehr."

Er wiegte den Kopf interessiert auf die andere Seite. "Da du mich so außerordentlich gut kennst, wird es dich ja nicht stören, wenn ich dich auch kurz besser kennen lerne, oder?"

Wieder dieses wabernde Lachen.

"Ich sollte dich einfach Stocki nennen. Kurz für Stockimarsch."

So eine Art Hand, und darauf auch ein dazugehöriger Arm, schoben sich aus der Masse hervor. Es schaute auf seine Hand und ballte probeweise die Faust.

"Du willst mich kennen lernen? Dann verwüste doch einfach diesen Raum hier. Lass dich mal richtig gehen."

Weiterhin starrte das Ding auf seine Hand.
"Sehr interessant... dieser Amateur hat mir doch tatsächlichen einen Körper gegeben..."
Mit einer beiläufigen Bewegung stieß es die Schüssel vom Tisch, die klirrend am Boden zerbarst. das Wasser schwappte über die alten Holzdielen.

Wieder wiegte Phobus den Kopf und betrachtete die Pfütze auf dem Boden.

"Offenbare dich mir." sprach er dann gerade laut genug auf der alten Sprache und konzentrierte sich auch auf das Gefühl der Vorsicht.

Spoiler:

Das Wesen bemerkte zwar, dass er irgendwas im Schilde führte - immerhin kannte es vermutlich die hohe Sprache - war aber immer noch damit beschäftigt, den eigenen Körper zu bewundern.

Richard hatte den Zauber einige Male an den Bewohnern der Umgebung ausprobiert, wenn sich die Möglichkeit geboten hatte. Aber bei diesem Ding war es nicht so ganz einfach, das zu lesen, was man bei Menschen sehr einfach lesen konnte. Es gab keine eins zu eins Zuordnung zu den höheren oder niedrigen Motivationen, die man meist fand. Das einzige Bestreben dieses Wesens schien es zu sein, sich zu nähren, zu existieren und sich oder etwas von sich zu verbreiten.

Spoiler:

Spoiler:

"Faszinierend." murmelte Richard in sich hinein, der gerade scheinbar genau so fasziniert war, wie das Chaos von Wesen, das ihm gegenüberstand.

Spoiler:

Er richtete den Fokus nach innen und befragte seine arkanen Gefühle, die ihm schon so manch eine Erkenntnis über die Welt gebracht hatten. Und wie er sich das Wesen so besah, fühlte er sowohl die widersprüchlichen Affekte des Gedankenarkanums als auch die Schwermütigkeit und Trauer, die Ahnungen des Endes, die mit dem Tod in Verbindung standen.

Spoiler:

"Du willst also, dass ich mich gehen lasse?" fragte er nachdem er das Wesen eine Weile lang beobachtet hatte. "Was soll denn darin der Nutzen sein?" fragte er mit einer kleinen Falte des Unverständnisses. "Ich hätte nicht gedacht, dass so ein Unfug in mir so mächtig sein könnte..."

Das Ding hatte sich inzwischen einen zweiten Arm wachsen lassen und spielte immer noch fasziniert mit den Fingern herum. Bei seiner Frage blickte es auf und lächelte böse.

"Nutzen? Was soll das sein? Ist das nicht eine Lüge, die ihr fleischlichen Wesen euch erzählt, damit ihr euch so fühlt, als seiet ihr zu was zu gebrauchen? Nutzen? Das ich nicht lache. Fragst du dich das wirklich, oder verarscht du mich gerade?"

"Du verstehst also rationale Überlegungen nicht." stellte er fest. "Du magst willkürliche Zerstörungswut. Wobei ich das Gefühl habe, es ging viel mehr um Willkür... Du bist in diese Welt gekommen, indem ich dich erbrochen habe." fasste er analytisch zusammen. "Inwiefern du dich mit der Endlichkeit der Sachen beschäftigst, habe ich noch nicht verstanden - aber du scheinst Unordnung zu mögen. Du forderst mich auf, mich gehen zu lassen und bist amorph."

Er nickte verstehend.

"Du symbolisierst also meine Angst vor Kontrollverlust. In Ordnung... Es ist aber nicht nur Angst. Ich verstehe affektuelles Handeln nicht. Du musst es mir beibringen, sonst habe ich niemals Ruhe vor Lovecraft."

"Meine Güte, bist du eine arrogante Schwallbacke, das ist ja unerträglich."

Missbilligung schwang in der grollenden Stimme mit.

"Dafür dass du anderen ihre Ratio absprichst, machst du aber selbst gerne ein paar Denkfehler, was? Ist es nicht die Endlichkeit der Dinge, die ihren Nutzen unnütz macht? Du willst lernen? Dann verabschiede dich von deinen tollen Analysen, deinem Utilitarismus, deinen Wahn, alles in Muster und kontrollierbare Portionen einteilen zu müssen. Folge mal einem Impuls. Mach etwas, weil du es willst, weil es sich geil anfühlt. Ignoriere die Konsequenzen! Lass diese Welt brennen!"

Phobos machte Anstalten über das, was Sh'aoc sagte, nachzudenken.

"Nein, nein, NEIN!"

mit einem Slotschen waberte es auf ihn zu und verpasste ihm einen nicht allzuharten Stoß.

"NICHT nachdenken. Worauf hast du Bock? Sag es sofort!"

Wütend sah er das Wesen an. "Du mieser Clown!" beleidigte er ihn mehr schlecht als Recht und wirkte danach äußert zufrieden. "Na, was sagst du dazu?"

"Mieser Clown?"
Fast klang die grollende Stimme ungläubig.

"Das ist alles? Du erbärmlicher Wichskrüppel! Wenn du nicht so widerwärtig wärst würde ich auf dich spucken!"