Neue Namen

Es passierte selten, dass Richard überrascht war, aber jetzt war er baff.

Phobos räusperte sich.

"Natürlich." Jetzt wieder gefasst, setzte er sich ihm Gegenüber.

"Dann lassen Sie mich an dieser Stelle sagen: Willkommen im Konsilium von San Francisco. Mein Name ist Taliesin, ich diene hier als Hierarch."

Er schmunzelte.

"Sie haben mich ganz schön dran gekriegt mit dem Damengambit vorhin. Diese Variante spiele ich deutlich zu selten."

"Nicht so sehr, wie Sie mich gerade dran bekommen haben." erwiderte Phobos trocken. "Gut gespielt."

Er lehnte sich zurück und tippte die Fingerspitzen aneinander.

"Sie müssen einem alten Mann seine Neugierde nachsehen. Die Magierwelt kann furchtbar formal sein, und ich wollte einfach nur ein neues Gesicht ein wenig persönlich kennenlernen."

Er beugte sich wieder nach vorne und zog ein Dossier zu sich, das auf dem Schreibtisch lag. Beiläufig blätterte er darin herum.

"Also, was können Sie mir über sich erzählen? Diesmal von einer rein erwachten Perspektive."

"Erwacht bin ich vor etwa einem halben Jahr auf dem Pfad der Verdammten. Lovecraft, ein verbanntes Mitglied des Konzils, war mein Mentor in dieser Zeit." begann er zu erzählen.

"Vor etwa einer Woche betrat ich San Francisco, um mich einem Orden anzuschließen und einen neuen Mentor zu suchen. Seit dem führe ich Gespräche mit den verschiedenen Vertretern der Orden, um die Selbstdarstellungen der Orden und ihrer Philosophien kennen zu lernen."

Verflixt- was, wenn er die SMS mitbekommen hat?

Er blätterte und seine Augen flogen über eine der Seiten.
"Ah, Lovecraft, ja. Das ist Kivutar nicht durch die Lappen gegangen."

Er blickte auf und sah ihm direkt ins Gesicht. Seine Augen machten einen sehr wachen Eindruck.

"Und was ist ihr bisheriges Bild von den Orden? Ich spreche hier als Hierarch, nicht als Mystagoge."

"Ich hielt es nicht für sinnvoll, das zu verschweigen." kommentierte er, während Taliesin die Blätter durchstöberte.

"Ich habe sehr unterschiedliche Erfahrungen mit den verschiedenen Vertretern gemacht." begann er. "Aus denen ich viel gelernt habe. Am Einprägsamsten waren die Prüfungen, des Adamantpfeils, durch die ich zwar zu außergewöhnlichen Erkenntnissen und Entdeckungen gekommen bin, mir aber auch vor Augen führte, dass ich denkbar ungeeignet bin, für diese Arbeit. Mir fehlt die Entschlossenheit, mit der sie eine Gefahr bewältigen würden. Abgesehen davon, dass Lovecraft ähnliche Einstellungen darüber hatte, wie man am Besten lernt - und ich auch deshalb von ihm fort ging."

"In beiden Situationen, in denen ich versuchte, Kontakt zum Konzil aufzubauen, kam es zu Ausschreitungen. Freiheit ist natürlich wichtig, um sich frei entfalten zu können, aber ich denke, dass auch Sicherheit ein Grundbedürfnis des Menschen ist."

"Mein Gespräch mit Aion war auch sehr hilfreich. Es ist wichtig, gerechte Ordnungen zu etablieren und moralische Fragen zu stellen. Unsicher bin ich darin, wie ich die silberne Leiter in dieser Aufgabe unterstützen kann. Ich sehe mich auch nicht so als Anführer- oder Anleitertyp."

"Kivutar brachte mir die Ideolgie der Hüter näher. Natürlich ist es etwas schwer, sich genau auszumachen, was sie tun. Dennoch muss ich sagen, gerade da ich früh erlebte, was passieren kann, wenn Magier sich selbst überlassen bleiben, bin ich der Vorstellung, dass es Leute gibt, die sich der Aufklärung und Bekämpfung des Missbrauchs von Magie verschreiben, beruhigend ist."

"Das Mysterium schlussendlich übt einen großen Reiz auf mich aus. Die Erforschung der erwachten Welt ist auch ein Antrieb, der mich in diese Stadt führte. Die Grundprämissen ihres Ordens, wie sie Kurunta mir mitteilte, finde ich nachvollziehbar und auch ihre Ziele wichtig und vertretbar."

Taliesin hörte aufmerksam zu, an manchen stellen nickte er kaum merklich oder machte leise "hmhm".

"Ich bin zufrieden. Die Orden haben sich denke ich adäquat dargestellt und Sie scheinen mir auch den Lehren aufmerksam gefolgt zu sein. Es ist lediglich schade, dass dieser hinterhältige Anschlag auf die Versammlung des Freien Konzils Sie um ein ehrliches Gespräch mit Vertretern dieses Ordens gebracht hat. Ich schätze Sie als jemand ein, der gerne möglichst vollständige Informationen hat, bevor er eine Entscheidung trifft."

Er ließ das Dossier zuklappen.

"Nichtsdestotrotz haben Sie richtig erkannt, welche Funktionen die Orden haben, und hoffentlich sehen Sie im Pentakel eine sinnvolle Zusammenarbeit - auch wenn die einzelnen Parteien nicht immer einer Meinung sind. Wissen Sie schon, wie bald sie sich für einen der Orden entscheiden werden?"

Auch Phobos hörte die ganze Zeit aufmerksam.

"Ich denke, das wird sich bald herauskristallisieren." antwortete er endlich. "Aber da dies eine Bindung für das Leben ist, möchte ich dabei bedacht vorgehen."

"Da haben Sie recht. Heute geht es ja nur um die Aufnahme in das Konsilium. Was uns zum Thema Ihres Tributs führt."

Er beugte sich vor und legte die gefalteten Hände auf den Tisch.

"Was können Sie denn anbieten?"

"Ich biete Ihnen meine Dienstbarkeit an." antwortete er. "Ich bin Schüler des Todes, Eingeweihter der Materie und Lehrling der Gedanken. Außerdem verfüge ich über gute medizinische Kenntnisse."

Der Hierarch nickte langsam.

"Ihre Dienstbarkeit ist sicherlich ein wertvolles Gut. Aber kaufen wir damit nicht etwas, dass Sie sowieso in naher Zukunft leisten werden? Sie sind doch niemand, der sich nach seinem Eid zurücklehnen und ein gemütliches Leben machen wird. Ihre Taten bisher zeigen, dass Sie der Gemeinschaft einen Dienst erweisen, auch ohne dazu angehalten zu werden."

Er schmunzelte wissend.

"Die Argumentation ist nicht ganz astrein, aber grundsätzliche kaufe ich nichts, was ich sowieso schon habe."

Phobos Stimme verblieb ruhig.

"Nun machen Sie mir mein gutes Betragen also zu einer Nachlässigkeit." stellte er fest. "Ich weiß nicht, welche Lehre ich daraus ziehen soll."

"Es ist meine Pflicht als Hierarch gegenüber dem Konsilium, das meiste und beste aus jedem Tribut herauszuschinden."

Er zuckte bedauernd die Schultern.

"Ich empfinde es nicht als schöne Pflicht und möchte auch Ihr Betragen in keiner Weise schmälern. Es sind rein wirtschaftliche Gesichtspunkte, fürchte ich."

"Und doch habe ich nicht zielgerichtet, sondern aus meinen eigenen Motivationen gehandelt." erwiderte er. "In meinem Dienst wäre es doch das Konsilium, dessen Aufträge ich durchführen würde."

"Das mag sein. Ich halte lediglich einen Job als besserer Botenjunge für eine Verschwendung."

Er rieb sich das Kinn.

"Sie haben für einen Erwachten Ihres Alters schon eine Menge erlebt. Auch die Umstände Ihres Erwachens waren - nun, sagen wir, interessant. Wären Sie bereit, einen öffentlichen Vortrag über Ihre Erlebnisse zu halten? Das wäre sicherlich lehrreich, selbst für erfahrenere Magier."

Phobos schmunzelte leicht.

"Ich bin kein besonders guter Referent und mir wurde stets nachgesagt, selbst aus dem spannendsten Stoff, einen langweiligen Vortrag zu machen." erwiderte er. "Aber für dieses Thema sollte man auch keine Begeisterung wecken. In diesem Sinne bin ich dazu bereit."

"In dem Fall sollten die Inhalte für sich sprechen."

Der Hierarch zog einen leeren Papierbogen aus einer Ablage auf dem Schreibtisch. Die andere Hand nahm routiniert einen filigranen Füllfederhalter auf. Er begann flink zu schreiben und diktierte währenddessen laut mit.

"Der Erwachte Phobos, wandelnd auf dem Pfad nach Stygia, ordnet sich mit dieser Unterschrift unter das Dach des Konsilium von San Francisco. Er akzeptiert die Bedingungen dieses Aktes als verbindlich und schwört, die Lex Magica zu wahren und seine Pflichten gewissenhaft und in Loyalität dem Pentakel gegenüber zu erfüllen. Gleichermaßen ist das Konsilium verpflichtet, ihm allen Schutz und alle Rechte zu gewähren, die einem Erwachten unter seinem Dach zustehen."

Er machte einen Absatz.

"Als Tribut an den Rat erklärt sich Phobos bereit, die Erfahrungen seines Erwachens und seine Erlebnisse als junger Magier in einem öffentlichen Vortrag im Sinne des Konsilium zu teilen, und so den Erfahrungsschatz der Gemeinschaft zu vergrößern.

gezeichnet, Taliesin, Hierarch von San Francisco."

Er drehte das Blatt um und lies Phobos das ganze noch einmal lesen.

"Wenn Sie damit zufrieden sind, unterschreiben Sie."
Er schob den Füller herüber.

Phobos runzelte kurz die Stirn bei einer seltsamen Formulierung.

"Was bedeutet, 'im Sinne des Konsiliums'?" fragte er nach.

Taliesin gluckste.

"Das ist die Klausel, die verhindert, dass Sie in diesem Vortrag - für den Sie ja eine breite Öffentlichkeit haben - gegen das Konsilium reden. Oder in anderen Worten, ich will mir nicht selbst ins Knie schießen."

Spoiler:

Das Glucksen sollte wohl irgendwie kaschieren, dass Phobos den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Es gelang nicht - Phobos sah es in den Augen des Mannes, das unausgesprochene 'verdammt, er hat es gemerkt'.

"Damit bin ich nicht einverstanden." erwiderte er. "Wenn ich über meine Erfahrungen als Magier referieren soll, dann sollte auch die Subjektivität meines Vortrages hervorgehoben werden können und nicht zensiert werden." erklärte er. "Sonst verliert der Vortrag nur an Wahrheit."

Seufzend lehnte er sich zurück, wobei sein Stuhl leise knarrte.

"Zwei Punkte: Erstens, Subjektivität und Wahrheit sind grundsätzlich zwei verschiedene Dinge. Zweitens, dieser Vortrag ist ihr Tribut an das Konsilium. Wir wollen nicht zensieren, aber wir wollen auch niemandem eine öffentliche Bühne geben, der sich dann gegen unsere lange erkämpfte Ordnung richtet."

Er machte eine kreisende Geste.
"Ich halte Sie nicht für einen Provokateur. Mitnichten! Das ist eine Rückversicherung. Es ist unser gutes Recht, unsere Interessen zu wahren. Ich glaube sogar, dass unsere Interessen im Großen und Ganzen mit Ihren übereinstimmen."

"Das denke ich auch, sonst säße ich nicht hier." erwiderte er. "Aber wenn ich beispielsweise sagen würde, dass Lovecraft in höchsten Tönen von dem Adamantpfeil gesprochen hat und ich ihn sonst als radikalen Irren dargestellt habe, dann wird das unweigerlich gegen die Interessen des Konzils verstoßen. Weil es unangenehme Frage aufwirft, Zum Beispiel: Wäre er auch verbannt worden, wenn er nicht im Konzil gewesen wäre?" erklärte er.

Phobos räusperte sich.

"Ich bin bereit vor einer großen anonymen Menge über meine traumatischen Erfahrungen zu sprechen. Ich bin bereit damit ein Stigma anzunehmen, von dem ich die Möglichkeit hätte, mich in diesem Vortrag zu distanzieren. Aber nur, wenn das im Interesse des Konsiliums ist." Er sah ihn entschuldigend an. "Ich bin nicht bereit, im Sinne des Konsiliums zu sprechen, wenn es zur Folge hat, dass ich Erfahrungen auslasse oder lüge. Seien Sie versichert: Ich werde kein schönenendes Bild von Lovecraft zeichnen. Aber meine Integrität steht nicht zum Verkauf."

"Ich muss zugeben, ich kann einigen ihrer Ausführungen nicht ganz folgen. Der springende Punkt ist, dass der Rat eine Versicherung braucht. Eine Versicherung, bei der nicht ausreicht, dass Sie sie mir jetzt mündlich geben - sie muss in diesem Vertrag stehen. Das ist auch schon alles."

Er hob eine Hand.

"Meinethalben können wir eine Rücktrittsklausel hinzufügen. Dann können Sie aus persönlichen Gründen vom Vortrag zurücktreten, müssen dann aber einen entsprechend höheren Ersatztribut leisten."