[Cassie] Schläft ein Lied in allen Dingen

Als sie den Staub eindringlicher betrachtete, spürte sie einen kleinen Adrenalinschub. Die Welt verschob sich etwas, und sie konnte mit einem mal mehr sehen, beinahe so, wie in dem Zimmer, als ihr Bruder im Sterben lag. Sie fühlte sich mit allem verbunden und spürte den Puls des Lebens überall - als würde sie im Herz des Kosmos selbst stehen. Das Leben war in ihrem Bruder, der sich offensichtlich bester Gesundheit erfreute, denn seine Lebenskraft war klar und ungebrochen. Aber das Leben sprühte auch aus den Topfpflanzen, die nahe dem Eingang auf niedrigen Regalen standen. Sogar im Teppich und den Couches und den Wänden spürte sie Lebenskräfte, wenn auch diffus und nicht so klar und sprühend wie von ihrem Bruder und den Pflanzen.

Sie war so überwältigt von ihrer Umgebung und wusste gar nicht was sie zuerst betrachten sollte. Schließlich entschieden sie sich, die Topfpflanzen nachher anzugucken. Sie konnte sehen, dass in den vertrockneten Blätter fast keine Lebenskraft mehr war. Die nächste Pflanze war fast vertrocknet war.
Vielleicht kann ich der Pflanze helfen, so wie ich Thommy geholfen habe
Sie konzentrierte sich und wünschte sich, dass es der Pflanze besser ging.

Cassie stellte sich vor, wie die Pflanze neue Lebensenergie erhielt.
So als würden die Wurzeln sich neu bilden, um besser Nährstoffe zu bekommen.
In ihren Gedanken blühten die Blätter neu auf und es war, als würde Lebensenergie wie frisches Wasser durch die Pflanze fließen, sodass in jeder Blattspitze es nur so vor Energie sprühte.

Sie spürte eine Macht von jenseits der ihr bekannten Welt, die sie ekstatisch durchströmte - die reine, ungefilterte Kraft des Lebens. Wie sie es sich vorstellte, geschah es auch. Die Pflanze bekam neue Wurzeln, neue Triebe und neuen Saft, der die mürben Blätter wieder aufleben ließ. Gleichzeitig schossen um Cassie herum geisterhafte, violett schimmernde Blumen an langen Stauden in die Höhe, die auch die eben noch welke Pflanze mit einigen Blütenblättern bedeckten und einen angenehm beruhigenden Duft verströmten. Sie hatten Ähnlichkeit mit der Blume, die sie in Thomas Wohnzimmer gesehen hatte.

Dann verschob sich ihre Sicht wieder zurück, wurde wieder 'normal' - sie sah nicht mehr die Kräfte des Lebens überall, sondern die Welt, wie sie vorher ausgesehen hatte. Auch von den violetten Geisterblumen war nichts mehr zu sehen. Mit einem entscheidenden Unterschied: Die Pflanze - sie war nicht mehr vertrocknet, sondern sah quicklebendig und kraftstrotzend aus!

Sie war überwältigt und berührte die Blätter der Pflanze.
Sie fühlten sich glatt an.
Cassie guckte über ihre Schulter zu ihrem Bruder, er saß immernoch auf der Couch.
Hatte Thommy etwas mitbekommen? Ich glaube nicht, sonst würde er da nicht so ruhig sitzen. Ach keine Ahnung...

Thomas saß halb mit dem Rücken zu ihr und beobachtete ohnehin die Treppe, wo die Frau verschwunden war. Er hatte von Cassies Tätigkeiten nichts mitbekommen.

Cassie betrachtete die Pflanze, welche deutlich gesünder wirkte als die anderen, noch einmal und wand sich dann ab. Auf dem Weg zu ihrem Bruder schaute Cassie unauffällig, ob sich irgendwo Videokameras befanden. Nicht das sie Aufnahmen von ihr hatten, wo ein Meer aus violetten Geisterblüten sie umgab.
Wären diese Blüten denn überhaut zu sehen? Waren sie verschwunden oder einfachnur unsichtbar?
Cassie wusste es nicht.

Sie konnte keine Kameras sehen, wurde aber jäh von ihrer Suche abgelenkt, als plötzlich ein Mann hinter dem Sofa hervorsprang, auf dem Thomas saß. Wie war er da hingekommen.

Ein metallisches Blitzen, das Klicken eines Abzugshahns. Der Mann hatte einen Arm um Thomas' Hals gelegt, mit der anderen Hand hielt er eine Pistole an den Kopf ihres Bruders, dessen Augen sich vor Schreck weiteten. Er ließ ein leises Keuchen hören.

"Ganz ruhig... versucht jetzt bloß nichts Dummes zu tun!"
Die Stimme des Mannes war tief und bedrohlich, sein Blick unter der gefurchten Stirn zu allem entschlossen.

Cassie erschrak und hob die Hände, sodass diese in der Höhe ihres Kopfes waren.
"Es tuuut..", sie schluckte schwer, sie hatte das Gefühl kaum noch Luft zu bekommen.
"Bitte.... bitte  tue ihm nichts. Wir wollen keinen Ärger machen.", keuchte sie.
Was sollte.... Wieso?... Warum?... Der war gerade noch nicht...kaum Luft... Alptraum... Thommy!...
Sie konnte kaum klare Gedanken fassen
Cassies Blick flog immer zwischen dem Fremden und seiner Waffe hin und her.

Der Mann schleifte Thommy vom Sofa hoch und zerrte ihn dann, die Pistole immer noch auf ihn gerichtet, durch den Raum, ohne Cassie dabei aus dem Blick zu lassen. Indessen kam ein anderer Mann in legerer Kleidung die Treppe hinunter. Er blickte ernst und etwas besorgt drein.

"Da rein!", rief der Mann, der Thommy bedrohte und bugsierte ihn durch eine Tür in das Zimmer nebenan. Mit dem Fuß stieß er die Tür hinter sich zu. Jetzt war Cassie alleine mit dem Neuankömmling.

"Was soll das? Wer bist du? Was willst du hier?", fragte der andere Mann Cassie nun mit verärgerter Stimme und stemmte die Hände in die Hüfte. Er war mehrere Meter von ihr entfernt stehen geblieben. Jetzt fiel Cassie auf, dass der gleiche feine Leuchtstaub, den sie bei dem Bild gesehen hatte, auch um ihn herumschwirrte.

Cassie senkte ihre Hände ganz langsam, der Staub irritierte sie etwas, weswegen sie leicht den Kopf schüttelte.
"Mei...", sie räusperte sich leise," Mein Name ist Cassandra Custer und ich, besser gesagt wir, also mein Bruder und ich, wurden von einer Freundin zu euch geschickt. Sie meinte ihr könntet uns helfen..."
Behandeln die jeden Gast so? Der tat ja so als, hätte sonst was getan und was meinte er mit 'Was soll das?' Die waren alle verrückt! Hoffentlich kommen wir hier lebend wieder raus... Was hatte Theresa sich dabei nur gedacht?

"Von einer Freundin? Der Staatsanwältin?"

Er runzelte die Stirn.
"Zu welchem Orden gehörst du? Welches Konsilium?"

"Ja Theresa ist Staatsanwältin..."
Der Typ hatte den Verstand verloren
"Ich gehöre keinem Orden an und auch keinem Kon- was weiß ich...Was sollen diese Fragen?"
Cassie war verwirrt.
Orden? Kon-irgendwas? Bin ich hier in einer Sekte gelandet? Natoll... von einem gefährlichem Drogenboss zur Sekte... ich hab ja ein richtiges Talent...

Für einen Moment stand er nur da und schien verwirrt. Dann wurde sein Blick nachdenklicher.

"Du weißt nicht, was ein Konsilium ist? Und du gehörst zu keinem Orden... Der Schläfer ist dein Bruder?"
Er deutete in die Richtung, in die Thomas abgeführt worden war.

"I..ich bin in keinem Orden und ja richtig ich habe keinen blassen Schimmer was so ein Konsilium ist und den Typ, den dein Freund gerade weggeschleppt hat ... ja das ist mein Brude. Er hat zwar nich geschlafen aber...", den letzten Satz murmelte sie nur noch leise. Sie strich sich die Haare aus der Stirn.

Jetzt machte er regelrecht große Augen.

"Du weißt nicht mal, was ein Schläfer ist? Weißt du überhaupt, was du bist?"

Was sollte diese Frage 'Weißt du überhaupt, was du bist?' ...Ja klar ich bin Alien verkleidet als Frau... der hat doch nicht mehr alle Latten am Zaun...
"Ehmm, Entschuldigung.... was?"
Sie ging einen Schritt nach hinten, aber da kam schon die Wand. Der Typ war ihr nicht geheuer.

Es schien so, als atmete er etwas auf.

"Ach du scheiße...also nicht... ist dir in letzter Zeit irgendwas... Merkwürdiges passiert?"

Cassie verkrampfte sich, Bilder von ihrem Bruder überkamen sie. Der komische Schleim, welcher auch noch sprechen konnte..., wie sie hören konnte ,wie sein Herz immer langsamer Schlug. Bei den Gendanken lief ihr ein Schauer über den Rücken und sie fühlt die tiefe Trauer und Angst erneut, sodass sich eine Träne aus ihrem Augenwinkel stahl. Dann aber sah sie vor ihrem geisteigem Auge das Waldzimmer, sie hatte sofort den beruhigenden Duft von Tannen und Moos in der Nase und die Erinnerung an diese geisterhaften Blumen beruhigten sie ein wenig.
Ihr Blick blieb an dem komischen Staub hängen, der ihn umgab.
"Ehhhhhmmm...", sie zögerte - zu lange...

Er seufzte und deutete dann auf eine Couch.

"Setz dich doch."
Mit zügigen Schritten ging er zu der Tür, durch die Thomas gezerrt worden war. Er öffnete und rief in den Raum dahinter:

"Agni? Entwarnung, die beiden sind keine Bedrohung. Wartet einfach nen Moment da."
Dann schloss er die Tür wieder.

"Sorry, das muss jetzt echt ein Schreck gewesen sein. Dir und deinem Bruder wird nix passieren. Hätte ich gewusst, dass du ganz neu bist, hätten wir nicht so überreagiert."

Cassie setzet sich.
"Ehm okay...Neu? Das ergibt alles keinen Sinn"

"Ich versuche es dir zu erklären. Ich bin übrigens Ukko... oder der Finne, wie mich die Staatsanwältin wahrscheinlich genannt hat."
Er setzte sich ebenfalls, auf eine Couch ihr schräg gegenüber.

"Am einfachsten ist es wohl, wenn ich es dir erstmal zeige."
Langsam hob er eine Hand und deutete auf die Lampe, die über ihnen an der Decke hing und warmes Licht verströmte. Dann sagte er etwas... es waren keine Worte, keine Sprache, die Cassie kannte oder jemals gehört hatte. Trotzdem verstand sie die Bedeutung.

"Verworfenes Licht, Brechung der Strahlen!"

Dann hustete er plötzlich und wurde regelrecht von einem kleinen Krampf geschüttelt. Aber das ging unter in dem Schauspiel, das sich daraufhin bot: Das Licht der Lampe leuchtete nicht mehr einfarbig, sondern wurde in alle Farben des Regenbogens aufgespalten. Die Farben warfen irisierende Lichtbogen durch den Raum.

Sie staunte. Ihre Augen verfolgten das Farbenspiel aufmerksam.
"Warst du das?", fragte sie, immernoch auf das Licht konzentriert.

Er hustete etwas, nickte aber.

"Bis jetzt hast du in einer Lügenwelt gelebt. Die Wahrheit ist..."
Mit ausgestrecktem Arm deutete er auf die schillernden Lichter.

"... Magie ist real."
Die Regenbögen flackerten und erloschen. An ihre Stelle trat wieder das normale Licht der Lampe.

"Irgendwann... in den letzten Tagen oder Wochen... musst du eine Begegnung mit der Lüge gehabt haben. Irgendetwas, das du nicht akzeptieren konntest. Deswegen hat deine Seele die Fesseln dieser Welt gesprengt und du hast nach der Macht des Universums gegriffen. Vielleicht hast du es nicht bewusst erkannt, aber unbewusst hast du den Ruf der Wahrheit gehört. Du bist erwacht."