Nachtlied

Es sah nicht so aus, als ob sie schließ, aber sie lag auf dem Bett und starrte mit bösem Blick an die Decke.

Scheiß Bullen, scheiß Fotzen-Richterin, scheiß Arschloch-Wichs-Klapsenbullshit-Kittelträger... raste aus, ich raste aus, wenn die mich weiter einsperren wie ein räudiges Tier!, strömten hasserfüllte Gedanken zu ihm.

Spoiler:

Ihr Gedankenbett war ein zischelnder, speiender Tümpel. Er war voller Hass und Wut - und kaum etwas hier konnte diese Wut im Zaum halten. Vermutlich konnte sie ihre Impulse nicht besonders gut kontrollieren.

In dem Tümpel schimmerte ein Bild auf. Eine Frau in einer Robe. Hände legten sich um ihren Hals und drückten zu. Die Richterin begann zu würgen, ihre Augen traten hervor... man konnte beinahe die kleinen Äderchen platzen sehen.
Na?! Wer hat jetzt die Macht, hm? Na wer, du alte Hure!
Sie Richterin versuchte etwas zu sagen, aber nur Röcheln kam hervor.
Ja, richtig, halt dein dreckiges Maul!
Die Hände schlossen sich fester, und die Vision endete im manischen Lachen, das in Galens Ohren dröhnte.

Galen rieb sich unnötigerweise seine Ohren im Zwielicht.

Hass, Wut, Größenwahn, Manie... Unkontrolliertes Handeln. Unvermögen, sich unterzuordnen? An dieser hier hätte Sh'aoc seine helle Freude. Muss ich wissen, woher diese Wut gekommen ist um die Symptome zu bekämpfen? Nein. Aber um präventiv vorzugehen...

Fraglich ist, was sie getan hat... Wie sie vorgehen würde. Und ob all das bereits Wirkungen auf ihre Seele hatte...

Ein Imago später und ein Zeig mit seinem Regenschirm auf die gefesselte, besah er sich die feinste, edelste und gleichsam rein und doch so zerbrechliche Schicht: Die Seele.

Die feinste aller feinstofflichen Schichten wurde für ihn sichtbar wie ein inneres Leuchten - Edelsteine im tiefen Erdreich. Doch... da war ein Sprung. Ein Knacks, von dem aus sich feine Risse über die Seele der Frau ausbreiteten.

Spoiler:

Galen wusste nun, wie es ihr Moment ging - und wie ihr Zustand sich auf ihre Seele ausgewirkt hatte. Was er nicht wusste, war, wie es um ihren längerfristigen mentalen Zustand bestellt war: Ihre Natur.

Ihr geknackter Schädel unterzog sich nun einer intensiven Begutachtung: Wer war sie... Und was wollte sie?

Spoiler:

Wie Hieroglyphen aus tiefschwarzer Tinte aus dem Fluss ihrer Gedanken, oder ein Schattenspiel auf der Innenwand des Schädels offenbarte die Patientin ihre Geheimnisse: Eine Wölfin, die ihr Kind vernachlässigte, verbiss sich in der Kehle einer Frau. Eine schwarze Woge fuhr über den Schädel und daraus schälten sich Autos hervor. Polizisten, die die Wölfin verfolgten, Ketten die geschleudert wurden. Doch die Wölfin entkam und erreichte ihr Junges. Leckte dem Jungen das Fell.

All das spielte sich unter einem lodernden, schwarzen Feuer ab, über dem immer wieder die Runen für Loyalität in schwarzer Tinte aufflammte.

Dann war der Zauber vorbei.

Einen Moment lang sinnierte Galen über der impulsiven Verbrecherin.

Ihr Sh'aoc ist sicher unglaublich mächtig, sie hat sich nicht unter Kontrolle, ist aber dennoch recht ehrenhaft... Zumindest will sie das sein Sicher reagiert sie sehr heftig, wenn sie sich verraten fühlt. Unklar ist, ob sie ihre Tochter versucht hat, zu schützen, oder ob sie eines ihrer Opfer ist. Schuldgefühle waren jedoch keine zu entdecken...

Ihre Wutprobleme dauern schon lange genug an, um permanente Schäden an ihrer Seele angerichtet zu haben... Aber anstatt sich dem zu stellen, sucht sie die Schuld bei anderen - ihrer Tochter vielleicht ausgenommen. Da möchte sie sich verändern, kann es jedoch nicht... Vielleicht ist das etwas, was ich Zakar verraten kann, um mich erkenntlich zu zeigen. Wie auch immer...

Nachdenklich sah er auf sie herab.

Mehr wird mir ihre Akte auch nicht bringen. Höchstens ein direktes Gespräch... Das benötigt einen Vorwand... Vielleicht sollte ich mit einem neuen medizinischen Schwerpunkt mein Studium aufnehmen...

Mit diesen Gedanken wendete er sich zurück an die Tür, der den Hauptflügel von der geschlossenen trennte. Fand er Tucker dort?

Tucker hatte sich etwas weiter in den Korridor gewagt und lugte gerade in einen der Räume. Veronicas Wüten war nun wieder vom anderen Ende des Flures zu hüten.

An der Tür angekommen, verformte er sie erneut wie Wachs...

Zumindest zog er an der Tür... Doch sie gab nicht nach...

Erneut zerrte er. Doch die Tür hielt stand. Etwas Panik rührte sich in Galen... Und dann endlich, beim dritten Mal ziehen und zerren öffnete sich die Tür... Verzog sich...

Hoffentlich gelang es Tucker rechtzeitig zu folgen... Er würde ihn unmöglich zurücklassen.

Tucker bemerkte nicht, wie sich die Tür verformte. Er war zu abgelenkt davon, die Zimmer zu inspizieren.

Spoiler:

Auf der anderen Seite der Tür angekommen, stand Galen und deutete mit den Fingern auf die Schatten im Zwielicht vor Tucker.

Sie bildeten ein Wort, welches nur wenige Augenblicke für ihn sichtbar war.

TÜR OFFEN!

Dann verzog sich der Schatten wieder.

Spoiler:

Tucker erschrak etwas, aber dann besann er sich und eilte zur Tür. Hinter ihm glitt diese wieder in ihre ursprüngliche Form zurück.

"Puh..."

Und Galen wurde wieder für ihn sichtbar.

"Du sagst es." erwiderte er dann aus dem Nichts zu ihm.

"Und? Hast du gefunden, was du gesucht hast?"
Tucker klopfte sich gespielt den Staub von seinem Kittelchen.

"Einen Anfang, ja." erwiderte er. "Kann man sich hier irgendwo bequem hinsetzen? Ich könnte eine Pause vertragen nach der ganzen Aufregung."

"Na, in unserem wunderbaren Wartebereich gibts da sicher was."

Im Zwielicht waren die Plätze allerdings weit weniger gemütlich, als auf der materiellen Ebene. Sie erreichten gerade die Sitzmöbel, als Sh'aoc um die Ecke geschliddert kam.

"Gesprächstherapie in der Gruppe ist das Instrument des einundzwanzigsten Jahrhunderts zur Bewältigung psychischer Probleme. Glaube mir!", trötete er im Herannahen.

"Hab ich was verpasst?"

"Hallo Sh'aoc. Ich rede mit meinem neuen unsichtbaren Freund gerade über die Abenteuer die wir heute zusammen erlebt haben."

Er sah zu Tucker.

"Tucker, das ist Sh'aoc." Er deutete in die Luft. "Ihr könnt euch natürlich nicht sehen, denn du bist tot. Und er eine Erfindung meines gestörten Kopfes." Das fand er lustig, verzog aber keine Miene.

"Sie fragt, was er verpasst hat."

"Oh, ich kann den Hänfling sehen, wenn ich deine Guckerchen benutze", gab der Goetia bissig zurück.
"Mit dem solltest du öfter was unternehmen, und mich dafür in Ruhe lassen. Der sieht angemessen langweilig aus für dich."

Tucker schaute sich etwas unsicher um.

"Hallo, sehr erfreut. Ähm... naja er...sie? Hat einen mörderischen Auftritt von Veronica verpasst."

"Es mag dich." sagte er zu Tucker, wendete dann aber wieder den Blick ins Leere.

"Ohh ja, Veronica war schon was... Die wäre vielleicht ein Gegner für dich, Sh'aoc. Immer wütend und macht alles kaputt was sie sieht. Einfach nur, weil sie so ist." sagte er. "Die ist in der geschlossenen, bei den schweren Fällen." plauderte er weiter.

Er lehnte sich auf dem unbequemen Zwielichtstühlen etwas zurück. Irgendwo rieselte Rost.

"War irgendwas interessantes in deiner Selbsthilfegruppe? Fühlst du dich ausgeglichener?"

"Gegner? Kling doch reizend..."

Er wedelte mit einem Tentakel.
"Ich war ja nie unausgeglichen. Aber es ist ganz schön, eine Referenz zu normalen Menschen mit Problemen zu haben, wo ich doch sonst nur immer dich und die anderen Mörder sehe."