Guanxi (Phobos)

"Naja, überall da wo Leute selten nachsehen. Angeklebt unter Tischen und hinter Heizkörpern. In Matratzen. In den Wänden. Hinter Bildern und Spiegeln."
Er zuckte mit den Schultern.

"Kameras ist schwieriger. Die brauchen ja auch ein gutes Blickfeld. Am besten sind so getarnte Kameras. Oder hochauflösende, die man draußen vor Fenstern aufhängt."

Phobos runzelte die Stirn.

"Können Sie mir da ein schnelles Beispiel hier geben?"

Er wirkte kurz wenig begeistert, dann zuckte er mit den Schultern und tippte ein paar Befehle in seine Tastatur. Einer der Monitore zeigte jetzt eine Terrasse. Man konnte durch eine üppige Fensterfront in das großräumige Wohnzimmer dahinter sehen. Eine Frau in einem Morgenmantel nahm ein Sonnenbad auf einem Liegestuhl. Der Blickwinkel war von oben herab, und ein Ast ragte etwas verschwommen ins Bild. Die Kamera war wohl auf einem Baum versteckt.

"Meinen Sie sowas?"

"Ja. Danke."

Er räusperte sich kurz.

"Ich will Sie dann gar nicht länger von der Arbeit abhalten." entschied Phobos.

"Okay. Viel Erfolg."

Damit wendete er sich wieder den Monitoren zu.

"Ihnen auch."

Und damit verfolgte er seinen Plan, wie zuvor durchdacht.

Eine gute halbe Stunde später kam er mit dem Van wieder in der Gegend des Gemeindezentrums an und parkte in einer kleinen Straße, vielleicht zwei Blocks entfernt und komplett außer Sicht.

Zielstrebig ging er auf das Gemeindezentrum zu und sah sich dort nach einem geeigneten Beobachtungspunkt um. Eine Bank vielleicht, wo er sich mit einem Eis telefonierend hinsetzen könne.

Es gab ein Stück weiter runter die Straße eine Bank, von der aus man den Eingang des Zentrums immer noch im Blick hatte, auch wenn es aus einer gewissen Distanz war. Diese Bank war durch eingezogene Armlehnen in quadratische Sitzflächen unterteilt.

Auf dieser Bank ließ sich Phobos erneut nieder, nachdem er sich einen Milchshake und eine Zeitung gekauft hatte und begann dort erneut seine Observation aufzunehmen.

Menschen kamen und gingen, meist einzeln oder in kleinen Gruppen. Manchmal versammelten sich auch erst Grüppchen vor dem Gebäude, bevor sie gemeinsam hineingingen. Aber es sah alles einigermaßen mundan aus.

Spoiler:

Die Stunden vergingen. Phobos bemerkte nichts Außergewöhnliches - von ein paar unglücklich ausgewählten Kleidungsstücken, die ihre Träger wie Presswürste aussehen ließen einmal abgesehen.

Dann war es 18 Uhr. Es war ruhig geworden, die leichte Kühle der Abenddämmerung lag in der Luft. Und das sah er den Glatzkopf mit der Weste aus dem Zentrum kommen. sofort schlug seine periphere Sicht an, als er ihn sah, wie er - etwas umständlich - die Tür hinter sich verschloss.

Wieder konzentrierte sich Phobos stärker auf das kribbelnde Gefühl der Vorsicht, als er den Mann besah. Durch die Aufnahmen hatte er ja bereits ein Abbild des Glatzenmannes. Ein Foto brauchte er also nicht mehr. Also erhob sich Phobos langsam, zückte sein Telefon und besah sich die Szenerie eine Weile.

Wenn er vorsichtig wäre und Abstand halten könnte, würde er ihn vielleicht bis zu seinem Wagen beschatten können.

Spoiler:

Zunächst auf der anderen Straßenseite, dann, nachdem der Mann abgebogen war einige Meter hinter ihm, folgte Phobos unauffällig. Kaum jemand bedachte ihn mit mehr als einem kursorischen Blick, besonders nicht sein Ziel. Der Glatzkopf schlenderte den Bürgersteig entlang und schaute dabei gelegentlich auf sein Handy. Schließlich schloss er ein am Straßenrand geparktes, kleines, dunkelgraues und etwas altersschwach aussehendes Auto auf und setzte sich ans Steuer.

Spoiler:

Von seiner recht verdeckten Beobachterposition aus, schoss er erneut ein Foto und versuchte auch das Nummernschild mit drauf zu bekommen.

Das gelang ihm ohne großes Problem. Der Mann sortierte noch für einen Moment sich selbst und andere Dinge im Auto herum, bis er schließlich den Motor startete und ausparkte, um dann davonzufahren.

Jetzt wusste Phobos, wie das Auto aussah. Morgen könnte er es verwanzen und Peilsender anbringen.

Und der Typ war aus dem Gemeindezentrum raus. Auch dort konnte er nun weiter arbeiten. Natürlich war noch immer Vorsicht geboten. Um sicher zu gehen also besser im Schutze der Nacht.

Also ging er nun zur Bowlingbar.

Die Bowlingbahn war in der gleichen Gegend der Stadt, nur noch einige Blocks weiter südlich, inmitten von einem Urwald aus mehrstöckigen Sozialbauwohnungen. Blinkende Pins und eine Neon-Bowlingkugel sowie ein großes X wiesen auf das Etablissement hin, das in einer niedrigen Halle zwischen zwei höheren Gebäuden eingezwängt war. Die Gegend war mit parkenden Autos übersät - fast genauso viele Leute suchten noch mit ihrem Wagen nach einem Parkplatz.

Spoiler:

Spoiler:

Mit ruhigen Schritten entstieg Phobos dem Wagen, als er endlich einen Parkplatz für den gewaltigen Van gefunden hatte und betrat die Bowlingbahn.

Eine entspannte Geräuschkulisse mit leiser Countrymusik und dem Quietschen von Schuhen und rollenden Kugeln im Hintergrund empfing ihn. Das war wirklich noch eine Oase der Beschaulichkeit - ein letzter Rückzugsort für eine schwindende Mittelschicht, die von Yoga-Machenden, Smoothies-Trinkenden und Smartphone-Daddelnden langsam mehr und mehr an den Rand gedrängt wurde.

Es war noch nicht sehr voll. Ein älterer Herr war gleichzeitig für die Bar und für den Schuhverleih zuständig. Er beäugte Phobos wenige Momente, nachdem dieser eingetreten war. Dann kam er auf ihn zu.

"Kann ich helfen?", fragte er freundlich, aber bestimmt.