Springbreak

"Das passt doch genau so auch auf den Hunger." erwiderte Galen. "Fakire überwinden ihre körperlichen Bedürfnisse dezidiert und ganzheitlich und werden deren Herren. Ich kann mir gut vorstellen, dass das ein Weg zur Erleuchtung ist."

Lovecrafts Gesichtsausdruck spielte nun etwas ins Verdrießliche.

"Das mag ja sein, und weiter? Ich sehe keine Fakire unter den Erwachten, die über irgendwelche Hungerprogramme mit meinen Erfolgen mithalten können. Vier Erwachen, Phobos, vier! Mit schrumpfenden Abständen. Das sind die harten Fakten, die eindeutig für Fortschritte sprechen."

"Harte Fakten sind es erst, wenn du Kontrollgruppen hast. Relative Zahlen wären auch nicht schlecht und nicht nur absolute." Und dann sind da noch qualitative Unterschiede, nicht wahr, Galen?

"Dann hilf mir doch und stelle deine Arbeitskraft und Zeit zur Verfügung, um das Ganze größer aufzuziehen."
Er funktelte ihn verärgert von der Seite an.

"Ich vergaß, du tust ja schon verwerfliche Dinge für jemand anderen. Haben die Hüter eigentlich relative Zahlen dazu, wie gut ihr Bullshit funktioniert?"

Begangene Straftaten nach Tötung des Täters: Null Prozent., dachte er grimmig.

Galen schmunzelte und schnaubte dann verächtlich.

So eine Schopenhauerargumentation...

"Ich könnte mit Sh'aoc besser diskutieren, als mit dir."

Lovecraft gab so eine Art hüstelndes Lachen von sich.

"Wenn man gegen sich selbst Schach spielt, kann man nur gewinnen."

Spoiler:

Spoiler:

Es geht hier doch nicht ums Gewinnen, sondern um die Wahrheit... Aber hey... Ich war nicht in dem Verein, der denkt, das so Wahrheit gemacht wird...

Er fiel ins Schweigen.

Also muss er ihm die Wahrheit zeigen. Manchmal muss man etwas ruckeln, damit man aufwacht...

Lovecraft hatte auch nichts weiter beizusteuern und schwieg, bis sie einige Minuten später auf den Hof rollten. Der Mastigos ließ seinen Truck neben Galens Wagen zum Stehen kommen.

"Brauchst du noch irgendwas? Ein Sandwich oder was zu trinken?"

"Ich esse unterwegs." erwiderte er. Bei dem Zustand der Küche will ich mir nichts einfangen...

"Aber Wasser wäre gut."

Er murmelte irgendwas und nickte. Beim Aussteigen verzog er kurz das Gesicht und hielt sich die vermutlich schmerzende Stichwunde.

"Warte kurz."
Etwas langsam - er wirkte tatsächlich irgendwie alt - ging er ins Haus und kam nach einer kurzen Weile mit zwei vollen Plastikflaschen voller Mineralwasser wieder, die er Galen überreichte.

"Tja dann... gute Jagd. Oder wie immer ihr Hüter das nennt."

Er nahm die Flasche entgegen.

"Der Zauber auf den Eltern... Lös ihn besser auf, falls sie doch noch dort auftaucht..." empfohl er ihm, die Spitze Lovecrafts ignorierend.

"Ah..."

Er machte ein milde bedauerndes Gesicht.

"Ich fürchte, das kann ich nicht tun. Ich habe meine Kontrolle über diese Magie aufgegeben."

Also das machst du mit deinen anderen Opfern...

"Tja... Dann habe ich es jetzt noch eiliger." Er stieg in seinen Wagen. "Halt die Ohren steif und die Füße still." riet er ihm, ehe er den Wagen anstellte.

Er klopfte zum Abschied einmal kurz auf das Wagendach über Galens Kopf und trat dann einen Schritt zurück, damit er anfahren konnte.

Lebe wohl, alter Mann... Als er klopfte, schärfte er reflexiv seinen magischen sechsten Sinn - das gefühl der Endgültigkeit - in die magischen Sphären. Er konnte sich gut vorstellen, dass diese Geste über einen Zauber hinwegtäuschen sollte.

Dann legte den Gang ein und fuhr los.

Erst als er von der Schotterstraße runter, und an der Haupstraße angekommen, sprach er zu Sh'aoc.

"Es ist schlimmer geworden mit ihm, oder?"

Er nahm keine Störungen innerhalb der stygischen Sphäre wahr, die ihm seine Sicht eröffnete. Auch Lovecrafts Nimbus blieb verborgen.

Die Goetia hatte sich auf dem Beifahrersitz deponiert und brach nun ihr verhältnismäßig lang anhaltendes Schweigen.

"Tja, also ich weiß nicht. Entweder er ist schlimmer geworden... oder du bist jetzt einfach anders und gerätst deswegen dauernd mit ihm aneinander. Eins möchte ich aber noch klarstellen: Ich kann ja wohl besser diskutieren als dieser Zausel."

"Früher hat er mit mir über so etwas gar nicht diskutieren wollen." Er erhob den Zeigefinder. "Solche Fragen sind nicht zielferührend:" äffte er Lovecraft nach.

"Da konnte er sich das noch erlauben. Aber mittlerweile bist du wohl so eine Nervensäge geworden, dass das nicht mehr geht", theoretisierte Sh'aoc und beobachtete ein paar Krähen am Wegesrand.

Er zuckte mit den Schultern.

"Ich bin nun einmal nicht mehr sein Schüler. Das scheint er irgendwie anzuerkennen, auch wenn ich in seinen Augen wohl immer Phobos bleibe."

"Oder das."

Sh'aoc wabbelte herum, was wohl ein Schulterzucken sein sollte.

"Jedenfalls ist da mit Gerede nix zu machen. Ihr seid beide so einsichtig wie... tja, ähm, eine nicht besonders einsichtige Person."

"Tja... Du warst gestern dabei, oder nicht? Davon kann ich doch nicht abrücken, oder?" fragte er seinen Vertrauten.

Noch waren sie ohnehin in dem mistigen Funkloch...

"Wovon?", fragte er zerstreut nach und glotzte auf den Weg vor ihnen, auf dem sie sich langsam wieder der Straße annäherten.

"Naja... das es nicht seine Methode war. Dass Angst nichts mit meinem Erwachen zu tun hatte."

"Ja nee, das ist schon richtig. Ich meine nur, dass ER da eben auch nicht nachgeben wird. Und wenn du ihn zehn Jahre lang zulaberst."
Er lachte kurz und dreckig.

"Wenn der Alte überhaupt noch so lange hat."

Galen fiel mit einem kurzen Schmunzeln in sein Lachen ein.

"Tja, vielleicht an ner eitrigen Wunde." erwiderte er auf die geschmacklose Art eines Sanitäters. "Ich muss es ihm zeigen... Dass seine Erfolge keine Erfolge waren."