[Odysseus] Alle Schleier sind gelüftet

Er nickte nachdenklich.

"Ja, diese Frage ist in der Tat interessant." erwiderte er und dachte darüber nach. "Spontan habe ich einige Hypothesen und Indizien... Meine Paradox schließe ich beinahe zwanghaft ein. Wenn er meine Münze ist, fließt meine Macht durch seinen Geist zu mir. Das könnte ihn färben..."

"Das kann man zwanghaft nennen... oder verantwortungsvoll", warf Tapio ein.

"Hast du eigentlich das Bedürfnis, das auch dem echten Lovecraft mal zu erzählen? Ich meine, wenn es ihn in deinem Oneiros gibt, dann beschäftigt er dich offensichtlich ganz schön."

"Kein persönliches. Nein... Aber in der Hoffnung, ihn zur Vernunft zu bringen, um seinem Treiben ein friedliches Ende zu setzen... Das schon. Wenn er überhaupt zuhört..." erwiderte er.

"Der Lovecraft in meinem Oneiros konnte es nicht wahrhaben und verbringt nun seine Zeit damit, dieses Mysterium verstehen zu wollen. Also glaube ich wohl nicht daran, dass er es mir überhaupt glauben kann."

"Kein persönliches..."
Tapio schien sich mit dem Gedanken nicht so recht anfreunden zu können.

"Du darfst nur nicht vergessen, dass es nicht alleine das ist, was du glaubst, das maßgeblich ist."
Kivutars Stimme klang nachdenklich.
"In deinem Oneiros mag es das sein...bewusst oder unbewusst. Der reale Lovecraft kann vielleicht doch überzeugt werden."

Galen nickte.

"Das ist mir klar. Deshalb betonte ich es so."

Kivutar fasste ihn in ihren kühlen Blick.

"Wenn Lovecraft überzeugt werden kann, dann von dir. Du kennst ihn besser als die meisten. Mit anderen Agenten des Ordens würde er vermutlich nicht einmal sprechen..."

Er nickte.

"Ja, ich weiß." erwiderte er ernst. "Und solange ich ihn nicht direkt bedrohe, wird er mir nichts tun." gab er zu bedenken. "Er wird seinen größten Erfolg nicht zerstören, nur weil ich ihn nicht verstehe..."

Und so erhob sich Frankensteins Monster um seinen Schöpfer zu zerstören? Eine Frau wünsche ich mir jedenfalls nicht von ihm...

"Ich werde morgen aufbrechen."

Seine Mentorin fasste ihn mit ernstem Blick ins Auge.

"Am Ende muss dir klar sein, dass du ihn nicht beschützen kannst, wenn er keinen Willen zur Veränderung zeigt. Aber das weißt du..."

Er erwiderte den Blick.

"Das weiß ich." erwiderte er ernst.

Kivutar zögerte.

"Ich... sehe dich ungern alleine in die Höhle des Löwen gehen. Aber ich fürchte, dass das kontraproduktiv wäre, Verstärkung mitzunehmen. Wenn Lovecraft das mitbekäme, könnte er sich bedroht fühlen..."

"Ja, das wäre es." stimmte er zu... "Und ich werde nicht den selben Fehler machen wie heute, als ich dich angriff." Galen seufzte. "Wenn ich also versage, dann wird er gewarnt sein."

Er atmete schwer ein.

"Und ich muss mit offenen Karten spielen. Er kennt mich gut. Sehr gut. Wenn ich ihm verschweige, dass ich nun ein Hüter des Schleiers bin, wird er misstrauisch werden. Ich denke, er ahnte es bereits, dachte vielleicht, das ich nicht das Zeug dazu habe..."

Galen sah zu Tapio und Kivutar.

"Denkt ihr, ich sollte ihn anlügen, wenn er mich danach fragt?"

Beide schüttelten simultan den Kopf.

"Einen Adepten des Gedankenarkanum zu belügen, der nach deinen Schilderungen seine Fähigkeiten eher frivol nutzt, ist sicher nicht empfehlenswert", formulierte Kivutar vorsichtig.

"Das heißt nicht, dass du mit der Tür ins Haus fallen musst. Und... ja, wenn du versagst, ist er gewarnt. Das müssen wir in Kauf nehmen."

Dann wird der verlorene Sohn nach Hause kommen..., dachte er. Und es machte Klick.

"Und haben Sie Kinder?", fragte er ihn damals in dem Van. "Ich hab zwei Söhne... beide schon erwachsen. Gute Jungen. Könnten ihren Vater öfter besuchen... aber ich will nicht klagen.", antwortete er.

"Vor mir gab es zwei andere." sagte er mit echter Überraschung in der Stimme.

In allem was er im Auto sagte, steckte etwas Wahrheit... Doch auch darin!

Kivutars Augen verengten sich - nicht misstrauisch, aber vorsichtig.

"Woher weißt du das?"

Er hielt sich die Stirn. Wie konnte ich das vergessen?

"Es war eines der ersten Dinge die ich ihn fragte." erwiderte er. "Ich fragte ihn in unserer Autofahrt zur Farm, ob er Kinder habe. Und er antwortete mir, dass er zwei erwachsene Söhne habe, die ihn zu selten besuchen. Er sagte aber auch, dass ihn die Großgrundbesitzer aus dem Geschäft vertrieben hätten und er jetzt sein eigenes kleines Reich habe..." erklärte er.

"Damit meinte er die Verbannung. Es ist doch wahrscheinlich, dass er damit vorherige Experimente meinte."

Sie nickte langsam, Tapio wirkte nachdenklich.

"Das heißt es könnte sein, dass zwei weitere Erwachte...oder Experimente von Lovecraft immer noch in San Francisco oder der Umgebung sind. Ich werde Nachforschungen diesbezüglich anstellen."

"Ja. Das kann sein." Er atmete kurz ein.

"Ob sie allerdings ein normales Erwachen durchstanden haben... Ist anzuzweifeln."

"Aber er hat nicht nur zwei Experimente vor dir gehabt. Das klingt irgendwie nach... wenig?", warf Tapio ein.

"Vielleicht zwei, die er als Erfolge gewertet hat?"

Stumm nickte er.

"Und..."
Tapio biss sich auf die Unterlippe, unsicher, ob er den Gedanken aussprechen sollte.

"Was ist mit denen, die keine Erfolge waren?"

Galen erinnerte sich daran, wie Kivutar ihm gesagt habe, dass es zum Löschen von Gedanken einen Meister bräuchte.

"Ihre Erinnerungen an den Vorfall wird er ihnen nicht genommen haben." erwiderte er und dachte über eine Alternative zu Serienmord nach.

"Finde das heraus, wenn du kannst."
Kivutar machte eine wegwischende Bewegung.

"Ansonsten habe ich eine Theorie, die ich überprüfen werde."

Und was, wenn er jetzt schon wieder ein neues Opfer hat?

Er trank einen Schluck Kaffee und sah auf die Uhr. Keine Dreiviertel Stunde. Die Arbeit schläft nie.

Kivutar schüttete ihren restlichen Kaffee runter und stand auf.

"Die Pflicht ruft. Wir sehen uns sicher noch einmal, bevor du dich morgen auf den Weg machst."
Damit verließ sie die Küche.

Tapio schaute etwas unschlüssig zur Seite. Dann sah er Galen an.
"Was ich nicht verstehe... und sorry, falls ich dir da zu nahe trete... aber nicht persönlich? Du meintest vorhin, du hättest kein persönliches Interesse daran, Lovecraft mal die Meinung zu sagen. Ich versteh das nicht. Was könnte den persönlicher als das sein, was er gemacht hat?"

Ich habe heute gemordet... Ich habe geweint... Ich trag sie und habe die Wahrheit erfahren...

Er atmete tief durch. Also gut. Das steh ich auch noch durch.

"Was könnte es mir bringen, es ihm zu sagen? Ich bin entkommen, ich habe einen Abschluss gefunden und einen neuen Anfang und ich bin ihm nichts schuldig. Keine Erklärungen, keine Wahrheiten." antwortete er ihm dann, mit einer erstaunlichen Ruhe.

Er atmete noch einmal ein und sah in den Kaffee.

"Ich will einfach nicht, dass es persönlich ist. Ich will nicht, dass es um ihn oder mich geht, verstehst du? Dafür ist es zu kompliziert mit uns immer gewesen. Es könnte mich zerreißen."

Er sah auf und Tapio in die Augen.