Heimkehr

"Mimimimimi", äffte sie, war dann aber tatsächlich ruhig und ließ die Leute in Ruhe.

Danach fanden sie gut zur Turk Street, die sie leicht an einem Straßenschild erkennen konnten. Sie führte durch eine enge Häuserschlucht, die für die Kerngebiete San Franciscos so typisch waren... es durfte einfach kein Platz verschwendet werden.

"Dich dabei zu haben, erfüllt genau das Gegenteil dessen, was es soll... Jetzt kontrollier ich nicht nur mein Verhalten, sondern muss deins mitkontrollieren." beschwerte er sich leise und gequält. In der Straße angekommen, sah er sich nach jemanden um, der ihm weiter helfen konnte.

"Jetzt übertreibst du aber. Du musst weder das eine, noch das andere tun."

Die Straße war gut gefüllt mit Fußgängern und Auto-Verkehr. Am besten Fragte man natürlich Ansässige, wie etwa den etwas mürrisch dreinblickenden Verkäufer an einem kleinen Zeitungsstand, der an der Straße aufgebaut war.

Ohne ein Wort der Erwiderung trat er auf den Zeitungsverkäufer.

"Entschuldigen Sie, Sir." begann er. "I'm searching for the Ugly Truth." sagte er, etwas missverständlich.

Für einen Moment schaute er ihn verwirrt bis böse an, dann hellte sich sein Gesicht etwas auf.

"Ahh... achso. Das war da hinten."
Er zeigte die Straße runter.

"Hat aber zugemacht... vor ein paar Wochen. Weiß nicht, wann genau."

"Hmm... Trotzdem Danke." sagte er, kaufte sich ein Magnum-Eis und legte dem Mann drei Dollarscheine auf den Tresen.

"Schönen Tag noch." verabschiedete er sich und ging dorthin, wo der Verkäufer hindeutete. Nebenbei lutschte er am Eis.

Nachdem er fünf Minuten lang die Straße entlangflaniert war, sah er die ehemalige Bar. Eines der Fenster im Erdgeschoss war durch eine Sperrholzplatte ersetzt worden. Ansonsten sah es aus wie eine ganz gewöhnliche, gemütliche wenn auch etwas zwischen den nebenstehenden Bauten eingeengte Bar. Über der Tür war 'The Ugly Truth' an die Wand geschrieben, in hübschen, verschnörkelten Buchstaben.

Spoiler:

Irgendwas an dem Schriftzug war merkwürdig und zog daher sein geübtes Auge auf sich. Er trat etwas näher heran und sah dann auch, was es war: Irgendjemand hatte an dem Schriftzug herumgedoktort und mit einer ähnlichen Farbe zwischen den Buchstaben irgendwas übermalt. Fast so, als hätte es noch einen zusätzlichen, weiteren Schriftzug gegeben, der nachträglich und definitiv mit einer anderen Farbe als der Originalschriftzug, unkenntlich gemacht worden war.

Der Magier konzentrierte sich einen Moment lang auf den Schriftzug, verschob seine Wahrnehmung ein Stück und besah sich die übermalte Stelle aktiv. Die andersartige Materie unter der Übermalung müsste jetzt irgendwie hervorstechen.

Er bekam sofort ein instinktives Gespür dafür, wie fest die Oberfläche war, und wie es um die Qualität derselben bestellt war. Das allerdings sagte ihm nichts über die verborgene Schrift.

Er drehte sich um, griff sich seinen Spiegel und sah durch ihn hindurch. Kurz wischte er sich durch die Haare, als würde er seine Frisur richten wollen. Die bleierne Münze lag schwer in seiner Hand und erdete ihn, gab ihm ein Gefühl von Sicherheit und Bodenständigkeit. Die Kräfte des Abgrundes rissen so nicht so stark an ihm.

Im Spiegel sah er nun den Namen der Bar - Natürlich in Spiegelschrift. Was bist du wirklich?, fragte sich Richard, dachte an die Halle der Säulen, wo es einen Betrug wie diesen niemals gegeben hätte.

Und dann... konnte er die Botschaft durch seinen Spiegel hindurch erkennen, die verborgen unter der Farbe lag.

Ein Ort der Freien Versammlung. Alle sind Willkommen. Gastfreundschaft.
Es war in Lettern der hohen Sprache geschrieben, klein, als Subskript zum Namen der Bar.

"Hmm..." machte Richard nachdenklich, wie er nun einmal war. "Scheint auch für unsereins geschlossen zu haben." sagte er leise.

"Meinst du, wir finden darin Hinweise, wo sie hingezogen sind?" fragte er Sh'aoc und sah sich auf der Straße nach Passanten um und Seitengassen um. Vielleicht konnte er von irgendwo durch das Zwielicht ins Innere gelangen.

Die Häuser standen dicht an dicht, und es gab wenig Gassen zwischen ihnen. Mit etwas Suchen würde er sicher etwas finden, aber das würde ein wenig dauern.

"Ist die Frage nicht etwas blöd? Das kann ich ja nicht wissen, da müsste ich schon drinnen nachsehen", gab die Goetia schnippisch zurück.

Richard sah es erwatungsvoll an.

"Dann geh doch mal gucken und sag mir zügig Bescheid, obs sich gelohnt hat." empfahl er ihm ähnlich schnippisch und mit einer hochgezogenen Augenbraue.

"Oh, zu Befehl, der Herr!"
Mit diesen Worten rutschte die Goetia unter dem Türspalt hindurch und war verschwunden.

Kaum war sie durch die Tür, besah Phobus sich auch schon das Innere der Lokalität durch die Augen der Gestalt.

Da war ein Schankraum. Sh'aoc sah sich flüchtig nach links und rechts um. Nichts besonderes, Stühle, Tische, Sitzecken. Eine Theke, über die der Goetia hinwegschwappte um sich dahinter umzusehen. Da waren noch Getränkeflaschen mit diversen Inhalten. Alles war aufgeräumt, wenn auch teilweise leicht angestaubt... im Grunde müsste man nur ein bisschen Wischen, dann könnte hier der Betrieb weitergehen.

Nach dem Schankraum sah sich das Wesen bei den Toiletten um - enge Räume, wo man sich kaum um sich selbst drehen konnte. Aber auch hier war alles wie in einer schlicht und einfach verlassenen Bar. In der Küche war es nicht anders. Dann begab sich der Goetia durch eine Tür mit der 'Privat'-Aufschrift. Dahinter war ein Treppenhaus - mit Treppen oben, einer Tür und einem Flur, der sich als Weg zu einem Hinterausgang nebst Lager entpuppte. Alles wurde gewissenhaft abgesucht.

Oben fand sich ein kleines Büro und so eine Art Wohnung, wobei es im Grunde keine persönlichen Gegenstände dort gab, nur ein paar generische Bilder. Es gab ein Bad, zwei Single-Schlafzimmer, einen kleinen Wohnraum.

Unten dagegen fand sich hinter der Tür so eine Art Versammlungsraum. Es gab reichlich Stühle und Tische und eine zweite Theke, die mindestens so gut ausgestattet war wie die erste. Neben diesem Raum waren wiederum Toiletten.

Nachdem Sh'aoc das alles kurz aber gründlich abgesucht hatte, kehrte er auf die Straße zurück.

Spoiler:

"Na das war ja ernüchternd." sagte er, als er nun nicht mehr sich selbst ansah, sondern Sh'aoc.

Er kratzte sich kurz am Kopf. "Also eine Sackgasee?" dachte er laut nach.

"Hmm. Vielleicht kann man Papierkram in dem Büro durchsuchen? Das kann ich ohne Körper nur schwierig machen", gab der Goetia zu bedenken.

"Ansonsten sieht es verlassen aus. Aber warum?"

"Eine Frage..." stellte er überrascht fest. "... die ich mir auch schon stellte. Es muss etwas vorgefallen sein. Rivalität, Kampf, Flucht. Nicht überhastet..." meinte er mit Blick zum übermalten Schild. Dafür war noch Zeit gewesen. "Aber trotzdem... Vielleicht finde ich Spuren..."

Erneut besah er sich die Gegend verstärkt und suchte nach Nimbusspuren.

"Bei einem Kampf könnte das Fenster kaputt gegangen sein", erörterte Sh'oac und deutete auf den mit Spanplatte zugenagelten Bereich.

Seine aktiv geschärfte Sicht konnte nichts in der näheren Umgebung entdecken, was auf einen Nimbus hindeutete. Er wusste aber auch, dass ein Signaturnimbus meist nur einige Tage, bis zu einer Woche hin sichtbar war, nachdem Magie gewirkt wurde. Danach verflüchtigten sich alle restmagischen Resonanzen.

"Möglich." stimmte Phobus zu, nachdem er kurz in sich gehorchte hatte. "Jemand kam aber zurück um die atlantischen Zeichen zu übermalen." sprach er nun erstmals den Gedanken laut aus.

"Es war also irgendwann sicher genug, um die Runen zu entfernen, seit dem Angriff." stufte er das aktuelle Risiko ein. "Auf deiner Bandbreite war niemand, den man befragen könnte?"

"Nein."

Das Gesicht der Goetia wendete sich zur Bar hin.

"Da drin sah es auch nicht aus, als wäre jemand überstürzt abgehauen."

Spoiler:

Ein Stück weit die Straße runter lehnte ein Mann an der Wand - unauffällig, gekleidet in ein gemustertes Hemd und Blue-Jeans. Aber nicht unauffällig genug. Schon als Sh'aoc aus der Bar herausgekommen war, war er Phobus zumindest am Rande aufgefallen. Der Mann trug eine Sonnenbrille - trotzdem hatte man den Eindruck, er würde immer Mal wieder zu ihnen herüber sehen.