Form und Funktion (Phobos)

Sie hob leicht erstaunt eine Augenbraue, wirkte aber durchaus zufrieden.

"Nun, das ist zumindest schon einmal sehr poetisch", konstatierte sie.

"Dann lass und zurückkehren."
Damit verschwand sie unter leichtem Flackern wie eine verlöschende Kerze von der Zwielichtebene.

War es das... Oh... Das war es.

Und mit einem festen Tritt auf dem Boden durchbrach auch er das Zwielicht.

"Entschuldige, dass du warten musstest." stellte der Suchende an Angus gewandt fest. "Ich suche einen neuen Namen. Odysseus soll es deshalb vorübergehend tun..."

Er räusperte sich umständlich.

"Vielleicht nicht der beste Name, um eine Expedition zu planen, wenn ich so drüber nachdenke." Das war unglaublich witzig. "Was sagst du? Bist du an Bord?"

Angus hob die Augenbrauen.

"Okay, cool. Odysseus."

Auf die Frage hin nickte er.

"Ja, ich bin dabei, wenn ich helfen kann."

Er nickte zufrieden, wirkte etwas besser gelaunt. Zuversichtlich.

"Vorschlag fürs weitere Verfahren: Während du nach dem Zauber suchst, briefe ich Angus wegen der bisherigen Ergebnisse und den Bodkin-Ermittlungen?"

Kivutar nickte. Angus setzte sich in den Schneidersitz.

"Ich bin bereit, wenn du es bist."

Während der neu gebackene Odysseus seinen Kollegen instruierte, wurde er von Kivutar intensiv angestarrt.

"Ah!", machte sie dann einen Augenblick später.
"Erzähl ruhig weiter, ich werde diesen Zauber derweil zerschlagen."

Sie verschwand kurz hinter den Tüchern und kam mit einem blauen Schleier zurück. Dann setzte sie zu einem Ritual an, das etwa eine Stunde lang andauerte. Sie sprach Formeln der Hohen Sprache, die sich um die Enthüllung der Wahrheit, Vernichtung des falschen Scheins und das Ende eines Zaubers drehten. Man konnte die Macht der Demesne spüren, die mit leiser Vibration ihre Magie auflud, wie Flüstern zwischen den Stoffbahnen, das leise die Wahrheit forderte. Auf dem Höhepunkt des Rituals zerriss sie den Schleier - und hielt schwer atmend inne. Das Mahlen ihres Nimbus verklang.

"Kratus Macht ist nicht mehr."

Phobos berichtete alles, was es über den Bokdinfall zu erzählen gab. Wie er den wahren Tod miterlebte, was er dort gesehen hatte, woher der Splitter kam, wie die Observierungen des Jugendzentrums verliefen und das es Fotos von dem glatzköpfigen Mann gab.

Dann erzählte er von seinem Besuch in der Bowlingsbahn, von dem misslungen, schwachen Zaubr der auf Roger lag, von der Schlägerei und dem Wiretap, dass er in seinem Handy versteckt hatte und ihn überredet hatte, heute zur AA zu gehen. Auch, dass er sympathetisches Material gesichert hatte.

Als er das zweite Briefing begann, kam Kivutar zum Ende des Rituals. Er hatte ihr die ganze Zeit recht neugierig dabei zugesehen, während sie den Spruch wirkte.

"Das ist gut. Danke dir." er lächelte schmal.

"Mir ist noch ein Problem, eine Unklarheit aufgefallen." stellte er fest. "Betreffend des Vertrags. Das sollten wir vielleicht erst klären, ehe wir voranschreiten."

Er rezitierte ihn, so gut er konnte.

Der Reisende sah zwischen ihnen hin und her. "Im Wortlaut... Bin ich gezwungen ihnen Zugang zu verschaffen, selbst wenn ich von der Expedition zurücktrete?"

"Das ist tatsächlich etwas uneindeutig."
Kivutar blickte nachdenklich drein.

"Dennoch solltest du einfach von deiner Gewissensklausel Gebrauch machen und zurücktreten. Wenn Kurunta dann meint, er müsste die Sache vor den Rat bringen...dann muss er das erstmal tun, und das mit eher schmalen Erfolgsaussichten. Das ganze kostet dann vor allem nur Zeit."

"In dem Fall würde auch gefragt werden, weshalb ich schon vor der Expedition von dem Vertrag zurücktreten wollte. Und das ist keine Antwort, für die sich das Mysterium mir eine Bühne geben möchte?" fragte er in die Runde.

Beide nickten.

"Sicher nicht. Die Frage ist, ob Kurunta mit Kratu und/oder Taliesin unter einer Decke steckt. Ich kann mir vorstellen, dass das nicht der Fall ist. Das heißt, er könnte unabhängig davon vor den Rat ziehen", dachte Kivutar laut nach.

"Ich habe auch das Gefühl, dass er nichts davon weiß. Sonst hätte er auch nicht so bereitwillig mir dieses Hintertürchen eröffnet." dachte Phobos laut nach. "Aber dann hat er vielleicht auch Verständnis für meine Situation... Auch einer menschlichen Ebene." Er zuckte mit den Schultern.

"Möglich", warf Angus ein.

"Aber so ganz toll wird er das nicht finden, dass du ihm die Expedition kostest."

"Das mit Sicherheit." erwiderte Phobos.

"Also... gehen wir davon aus, er klagt meine Hilfe ein. Dann haben wir durch das Verfahren mindestens Zeit gewonnen, um die Expedition weiter zu sabotieren. Dann muss ich ihm das sympathetische Material übergeben und darf nicht mit. Dann bin ich erneut in Kratus Visier."

"Kurunta müsste ein Verfahren einleiten und gewinnen und erst dann bekommst du ernste Probleme mit Kratu."
Kivutar schüttelte stirnrunzelnd den Kopf.

"Sehr unwahrscheinlich, da Kratu selbst im Rat sitzt. Wenn er die Gelegenheit hat, Kurunta die Expedition wieder abzuluchsen, wird er es auch tun. Ich glaube ehrlich gesagt nicht einmal, dass Kurunta klagen wird. Du solltest ihm die Sache so verkaufen, dass er darin keinen Sinn sieht."

Sie machte eine knappe unterbindende Geste.

"Wie dem auch sei, Kratu sollte schnellstmöglich von deiner Entscheidung erfahren, damit er keine Schritte einleitet, um dir zu schaden."

"In Ordnung. Wie nehme ich Kontakt zu ihm auf?" fragte Phobos seine Mentorin.

Wortlos zog Kivutar ihr Telefon hervor.

"Bist du bereit, gleich jetzt mit ihm zu reden?"

Der Sucher atmetete einmal durch, machte sich bereit.

"Ja. Das bin ich."

Sie wählte.
"R. K., bitte."

Dann wartete sie kurz.

"Guten Tag, Ratsherr. Provost Kivutar hier."
Ihre Miene war steinern, ihre Stimme beherrscht und professionell.

"Ich habe Phobos hier, der kurz mit Ihnen sprechen will."
Sie lauschte dem anderen Ende.

"Sehr wohl."
Dann reichte sie Odysseus den Hörer.

Er nahm das Telefon entgegen.

"Ratsherr."

"Phobos", drang die süßliche Stimme - diesmal tatsächlich seine eigene - an das Ohr des Moros.

"Sind Sie zur Vernunft gekommen?"

"Das bin ich." erwiderte er und gab sich alle Mühe, förmlich zu klingen.

"Und ich habe etwas Besseres, als Reparaturen für Sie. Ich werde der Expedition meine Unterstützung entsagen."

"Ah... nun, das ist natürlich umso besser. Dann verläuft alles so, wie es ohne Ihre unnötige Einmischung ohnehin gekommen wäre."
Er gluckste.

"Und solange alles so kommt, bin ich zufriedengestellt. Aber denken Sie daran... weitere unschöne Überraschungen, und ich werde Sie zur Verantwortung ziehen."

"Natürlich." erwiderte er nur knapp.

"Gut. Auf Wiederhören."

Es klickte, dann war die Leitung frei.

Er prüfte noch einmal, ob das Telefon wirklich aus sei.

Dann sah er in die Runde.

"Aber denken Sie daran... weitere unschöne Überraschungen und ich werde Sie zur Verantwortung ziehen." äffte er seine eklig süßliche Art nach.