Wenn tote Menschen Geschichten erzählen

Spoiler:

Phobos war gerade über einen Haufen Glasflaschen gebeugt. Das Klirren der Flaschen überdeckte gerade alles andere in seiner Wahrnehmung.

Sein Herz rutschte vor Schreck in die Hose als er plötzlich leichten Druck zwischen den Schulterblättern spürte, als würde jemand einen Finger da hindrücken.

"Du wirkst etwas unaufmerksam", ließ Kivutar hinter ihm vernehmen.

"Das kann den Tod bedeuten."

Phobos zuckte einen Moment lang heftig zusammen und drehte sich zügig um Überraschung und Wut spielten kurz über seine Gesichtszüge, die er bald darauf wieder zügelte...

Er setzte zu einer patzigen Antwort an - so recht fiel ihm aber keine ein.

Also atmete er kurz tief durch.

"Jetzt bin ich jedenfalls wieder wach." sagte er in leicht passiv aggressiver Tonlage.

Kivutar schaute ihn schräg an.

"Du arbeitest jetzt schon eine ganze Weile", stellte sie dann fest. Draußen neigte sich der Tag schon dem Ende.

"Ich glaube, das reicht für heute."

Er runzelte die Stirn. Warum das denn nun?

"Das Verbrechen schläft nicht." stellte er dann trocken fest. "Diese Mörder können jederzeit erneut zuschlagen."

"Das ist wahr. Es hätte genauso gut einer von den Tätern sein können, der hier plötzlich hinter dir stehen. Weil Sie den Tatort zur Sicherheit im Auge behalten oder ähnliches."

Ihr Gesicht war streng.

"Normalerweise würdest du hier alleine ermitteln. Ich wäre eigentlich nicht hier gewesen, im Zwielicht. Niemand hätte die Umgebung im Auge gehabt in den vergangenen Stunden, und sichergestellt, dass es keine unliebsamen Überraschungen gibt."

Ich habe einen Partner - in meinem Kopf.


Sie hatte Recht - das wusste Phobos.

Er nickte knapp, nicht etwa schuldbewusst, sondern erneut in dieser verstehenden Art. Sie hatte einfach Recht.

Phobos hatte diese Verhandlung gehabt und mehr als zwei Stunden lang operiert. Seit mehr als drei Stunden beschäftigte er sich jetzt schon mit dieser Wohnung, dachte dabei über alle möglichen Szenarien nach - und über Bodkins Persönlichkeit. Es war einfach ein anstrengender Tag gewesen.

"Danke." antwortete er, nach zwei, drei Sekunden der Stille.

"Noch bin ich dafür da."

Sie deutete ein knappes Lächeln an.

"Wenn du tatsächlich mal alleine in einem ungesicherten Gebiet ermittelst, musst du dir Gegenmaßnamen überlegen. Simple Geräuschfallen vor Türen. Es gibt sogar mobile Bewegungsmelder. Vor allem, wenn dein Vertrauter dir nicht zur Verfügung steht."

Sie schaute sich kurz um.

"Bist du fertig hier? Hast du Ideen, wie es weitergehen könnte? Dann sollten wir gehen."

"Ich hab die Wohnung auf den Kopf gestellt und habe einige Anlaufpunkte." erwiderte er. "Ja, wir können gehen denke ich. Hier werde ich nichts mehr finden."

Phobos packte seine Sachen zusammen und steckte den Brief zu dem Haar Bodkins in die Plastiktüte.

"Trishs Corner." sagte er etwas unvermittelt. "Strike. Drei Ausrufezeichen. Bowling Hall. KFC in der 15th Avenue." Er nickte zufrieden. "Sollte ohne Notizen klappen."

"Gut. Dann lass uns gehen."

Sie vergewisserte sich durch den Türspion, ob der Flur frei war, bevor sie die Tür öffnete. Gemeinsam verließen sie die Wohnung und schließlich das Haus, und steuerten dann auf die Parkmöglichkeiten in der Straße zu.

"Wir sehen uns dann beim Sanctum."

"Bis dahin." verabschiedete er sich auch von ihr und fuhr mit seinem Wagen auf direktem Wege zum Sanctum.

Noch immer fühlte er sich unzufrieden, frustriert, dass er nicht mehr hatte tun können.

Und er hatte das Gefühl, dass er irgendetwas tun musste!

Irgendwie musste er seine Untätigkeit los werden, abschütteln. Aber Kivutar hatte Recht, er hatte zu lange gearbeitet.

Er erreichte den Parkkeller des Hauses - doch er nahm nicht den Aufzug.

Phobos rannte die Treppe hinauf. Als er schnaubend vor der Tür stand, zitterten seine Hände, als er den Schlüssel im Schloss umdrehte.

Mehr davon - er brauchte mehr davon. Mehr Entkräftung, bis er sich keine Gedanken mehr um seine Untätigkeit machen konnte, bis er erschöpft ins Bett fallen könnte.

Kivutar kam nicht mehr auf ihn zu, er sah sie aber kurz in der Küche. Tapio sah fern. Phobos hatte Feierabend.

Sportliche Betätigung gehörte nicht gerade zu seinen Stärken - Trotzdem...

Er zog sich um und ging eine Runde um den Block joggen. Bis die Beine brannten, bis das Laufen ein Automatismus wurde, bis er sich nicht mehr vorstellen konnte, nicht mehr zu laufen. Er lief fast eine ganze Stunde - und nahm auch wieder die Treppe hinauf.

Irgendwann während seiner Tour, hatte er sich auf Grund des mangelnden Aufwärmtrainings etwas gezerrt. Das merkte er erst, als er wieder in der Wohnung war, zu Tode erschöpft und die Schuhe auszog und unter die Dusche ging, die wie ein kühler Segen auf ihn niederfiel.

Nach der Dusche, verließ Phobos das Bad und trat zu den anderen beiden Hütern in die Küche. Er machte einen wesentlich entspannteren Eindruck, als noch vor einer guten Stunde.

Phobos wollte noch etwas Essen, bevor er zu Bett ging, aber vielleicht wollten die anderen ja auch noch was von ihm wissen - und eigentlich wollte er noch über die Verhandlung sprechen.

Kivutar aß schweigend zu Abend, aber Tapio war gesprächig.

"War ja ein ganz schön heftiger Tag heute, was?", fragte er niemand bestimmten. Kivutar antwortete nicht.

Phobos nickte daraufhin knapp.

"Ich bin eigentlich ziemlich öffentlichkeitsscheu." erwiderte er mit ein paar aufgespießten Nudeln auf seiner Gabel.

"Tja, dafür hast du dich ja ganz gut geschlagen. Blöd, wegen dem Verweis, aber ich glaube die meisten können das schon ganz gut einschätzen."

Er zuckte mit den Schultern.

"Amelius kann es sich jetzt jedenfalls abschminken, schnell in den Rängen aufzusteigen."

"Immerhin etwas." erwiderte er und der Happen verschwand im Mund.

"Wurde nach der Verhandlung noch drüber gesprochen?"

"Ja, aber vor allem um die Bombe, die da noch geplatzt ist. Dein Fund."

Tapio schüttelte missbilligend den Kopf.

"Diese Geier. Naja. Ich glaube das Urteil ist relativ gut aufgenommen worden, selbst von den Mystagogen. Ist ja auch ein ziemliches Unding, einen Neuling direkt ausnehmen zu wollen."

Wieder nickte er.

"Tja... Hab' ich mir auch nicht ausgesucht."

Phobos rollte ein paar Nudeln auf.

"Das ist ja auch irgendwie klar."

Tapio schaufelte sich viel zu viele Nudeln auf einmal rein.

"Und wie geht es jetzt mit meinem 'Fund' weiter, was denkst du?" fragte er Tapio.

"Gute Frage. Das Mysterium wird möglicherweise auf dich zukommen. Oder sie beschaffen sich anderweitig Zugang zu diesem Fund."

Er legte den Kopf schräg.

"Willst du da aktiv werden?"

"Das ist keine Frage des Wollens, schätze ich." erwiderte er und nahm sein Glas zur Hand.

"Was genau meinst du denn mit aktiv werden?"