Vox Populi

Phobos zog sein billiges Schattentelefon aus seinem zerfledderten Jacket. Es sah ziemlich mitgenommen aus - der Akku war leer und das Display gesprungen, als unter der extremen Kälte die Flüssigkeit gefror. Die Folgen des Besuchs im Zwielicht.

"Manches hält selbst ein altes Nokia nicht aus." schmunzelte er. "Wenn Sie mir ihre Nummer aufschreiben, melde ich mich, sobald ich kann."

Amelius ging, nachdem er die Nummer auf einem Zettel hinterlassen hatte. Jetzt waren nicht mehr viele andere hier, Phobos hörte, wie sich Tourmaline leise mit jemandem in der Küche unterhielt. Er hatte nun die Gelegenheit, sich auszuruhen.

Der Zettel verschwand unter der Decke, in der sich Phobos nun im Schneidersitz einschmiegte und kurz die Augen schloss. Hätte er nicht immer wieder husten müssen, wäre er vermutlich auf der Stelle eingeschlafen.

Er dämmerte ein wenig vor sich hin, bis er Tourmaline gewahr wurde, die soeben das Wohnzimmer betrat.

"Es wird langsam Zeit, dass auch wir gehen."

Spoiler:

Phobos nickte verstehend und richtete sich auf. Die Kälte war ihm langsam aus den Gliedern gewichen.

"Der Tee war gut, danke." Er richtete sich etwas auf und legte die Decke wieder fein säuberlich zusammen. "Ich sollte mich auch wieder verschleiern können." Gesagt getan. Er legte über seine Aura die eines Geistes und sprach dabei die Worte.

Dann war an seiner Aura nichts Erleuchtetes mehr zu erkennen.

"Ein guter Gedanke."
Es war noch ein zweiter Magier hinter Tourmaline ins Zimmer gekommen, ein junger Mann in alternativer Kleidung, der, etwas nervös, auf einem Kaugummi herumkaute.
"Dies hier ist Flournoy, ein Magier des Freien Konzils. Flournoy, Phobos."
Der Mann lächelte Phobos unsicher an.


Sie legte Flournoy behutsam die Hand auf die Schulter, murmelte die gleichen Worte wie Phobos zuvor und starrte tief in den geschliffenen, dunklen Edelstein, den sie an einem Amulett um den Hals trug. Ohne die Sicht spürte Phobos den Verschleierungszauber nicht, allerdings fluchte Tourmaline einige Sekunden später.
"Verdammt... Entschuldigung."
Sie lächelte etwas beschämt und zog aus ihrer Handtasche einen kurzen, weißlichen, geschnitzten Stab, der an einem Ende einen Zierstein eingesetzt hatte. Diesen richtete sie bedeutungsvoll erst auf den anderen, dann in einem weiten Bogen auf sich selbst, wobei sie nochmal die Worte murmelte.

"Jetzt müsste es gehen. Allerdings könnten Schläfer der Nachbarschaft uns bemerken. Flournoy, können Sie uns vor neugierigen Blicken verbergen?"
Der Angesprochene nickte.
"Ja... "
Er streckte die Hände aus, Tourmaline ergriff die eine, die andere zeigte zu Phobos.
"Es würde helfen, wenn ihr beide versucht, einen offenen Geist zu haben - sonst nützt die Gedankenmagie vielleicht nichts."

Phobos runzelte kurz die Stirn. Unauffällig wirken, könnte er auch ohne seine Hilfe. Nun, zwei Zauber hielt er schon aufrecht, er war ermattet und die arkanen Energien flossen auch nicht besonders schnell durch seinen Körper. Hilfe wäre schon eine feine Sache. Leider war es für ihn ebenso schwer, seinen Blick für die Mächte des Gedankenarkanums zu schärfen, wie einen Zauber selbst zu wirken. Also konnte er sich nicht besonders gut absichern. Nun Tourmaline vertraute ihm, nicht wahr?

"Das kriege ich noch gerade so hin." versprach er schmunzelnd und ergriff die Hand. Lovecraft hatte oft diesen offenen Geist von ihm erwartet, auch wenn die Folgen danach alles andere als schön waren. Meist hatte es etwas mit Angst zu tun. Schlimmer konnte der hier auch nicht sein.

Flournoy schloss die Augen.
"3, Kommunikatio, Ausdruck, Verbalisierung zu 7, versteckte Motive, Geheimnisse, Verdacht", zählte er auf. Dann deklamierte er Worte der Hohen Sprache. Flournoys Hand löste sich von seiner. Phobos sah die Tür, die Couch, das Fenster. Die zusammengelegte Decke. Die anderen beiden waren verschwunden.

Tja. Tschüss..., dachte er noch. Hören konnten sie ihn ohnehin nicht.

Unauffällig öffnete sich eine Tür. Eine Gestalt verschwand, trat durch einen Hausflur. Eine Haustür öffnete sich. Eine andere Gestalt - wer könnte es sagen? -ging eine Straße entlang. Eine Autotür öffnete sich. Ein Schlüssel wurde gedreht. Ein Auto heulte auf. Eine Gestalt griff unter den Beifahrersitz und sah nach, ob dort noch lag, was sie dort liegen gelassen hatte.

Die Gestalt fand alles so, wie sie es zurückgelassen hatte.

Die Gestalt war sich sicher, dass der Zauber, der auf ihr lag nicht auf dem Auto selbst lag.

Sie fuhr zurück ins Hotel.

Phobos kam etwa eine halbe Stunde später wieder im Hotel an.

Die Lobby ging es erst hoch und dann in sein Zimmer. Langsam ging sein Geld zur Neige. Er musste eine andere Lösung finden.

"Na, was hast du gemacht, während ich weg war?" fragte der ziemlich lädierte Phobos.

Die Goetia klebte als träger Klumpen auf dem Bett.

"Fernsehn geguckt. Diese Versammlung wirkte so langweilig am Anfang, das konnte ich mir nicht weiter angucken."

Phobos prustete los und kroch zu Sh'aoc aufs Bett.

"Sie nahm ein jähes Ende, als ein Selbstmordattentäter sich und drei Magier in die Luft sprang." erwiderte er mit unangemessener Belustigung in der Stimme. So ging er nun einmal mit dem Tod um. Er lachte über ihn. "Es wird angenommen, Gedankenkontrolle spielte mit. Der Täter war nämlich ein Schläfer. Danach brach die totale Panik aus - konnte aber den Menschenstrom ganz gut lenken."

Er kroch unter die Decke.

"Aber deine Doku war sicher auch spannend."

"Oh."
Sh'aoc sah tatsächlich etwas enttäuscht aus darüber, dass er das nicht mitbekommen hatte. Dann seufzte er.

"Klar, ein wilder, unkontrollierter Menschenstrom, und du lenkst ihn. So. Klar."

Phobos zuckte mit den Schultern.

"Gib ihnen eine Tür ohne Rahmen und der Strom teilt sich auf. Es stoßt sich nicht einmal jemand den Kopf." Wieder ein hämisches Grinsen. "Aber du hast es ja verpasst, also kann ich noch so viel reden."

"Wohl wahr. Und sonst?"
Sh'aoc gähnte demonstrativ.

"Im Gegensatz zu dir, habe ich einen Körper." erinnerte er ihn. "Und der ist krank. Also werde ich schlafen, schwitzen und fernsehen. Vielleicht auch später noch weiter an den Daten arbeiten. Auf die wurde ich übrigens schon angesprochen."

Er steckte den Kopf aus der Decke.

"Worum geht es in der Doku?"

"Meerjungfrauen", antwortete der Goetia beiläufig.

"Angesprochen? Von wem?"

Phobos hob zweifelnd die Augenbrauen. "Meerjungfrauen?" fragte er irritiert nach. "Ich kann mir kaum vorstellen, dass das auch nur annähernd eine realgetreue Doku ist. Angesprochen wurd ich von einem Mitglied des Mysteriums. Amelius. Ein Beschaffer. Die wollen die Sachen abkaufen. Hab schon angefangen in Verhandlung zu treten, aber irgendwie fühlte ich mich nicht ganz so gut..."

"Doch doch", bestätigte Sh'aoc das mit den Meerjungfrauen.
"Das Militär hat das verheimlicht. Irgendwelche Seeforscher haben so einen Bloop aufgenommen, ein ultralautes Geräusch im Meer. Das hat wohl sogar Wale zum Stranden gebracht."

"Mysterium, Mysterium... welche waren das nochmal?"

Phobos zweifelte nun sogar noch mehr.

"Na ob das Meerjungfrauen waren, bezweifle ich immer noch.. Das war wohl eher der Alte, der schläft." grinste er. "Aber solche Dinge untersucht das Mysterium. Sind sozusagen die Wissenschaftler, Bibliothekare und Indiana Jones' der Diamantorden."

"Aha. Und wie wollten deine Aufnahme haben? Na dann hoffe ich mal, dass du ordentlich abgesahnt hast. Die Indiana Jones' sollten ja das ein oder andere Juwelchen eingesammelt haben. Ich hoffe doch sehr, die spenden nicht alles an Museen?"
Sh'aoc achtete nicht mehr wirklich auf die Doku, die schon nach kurzem hinsehen alle Merkmale einer Verschwörungstheorie zur Schau stellte.

"Die wollen ja auch nicht die Katze im Sack kaufen." erwiderte Phobos. "Ich werde an ihren Ergebnissen teilhaben und mit ihnen forschen. Wenn die Entdeckung gut genug ist, werden sie auch meine Aufnahmegebühr zahlen, bzw. die ist das dann. Und ich werde noch einmal zurück zu seinem Dorf reisen können, wenn sie vor Ort forschen wollen. Insgesamt ist es glaub ich ne gute Investition, wenn man nicht gleich der führenden Kraft alles aus der Tasche zieht, sondern sich zunäscht mit denen gut stellt und Zusammenarbeit forciert."

Phobos warf einen Blick auf die Doku. "Was für ein Schrott. Das sind doch alles nur Behauptungen und Scheinkorrelationen!"