Vox Populi

Belladonna bugsierte ihn hinten, durch den Zaun und am Nachbarhaus vorbei. Die Magier auf der stofflichen Ebene zerstreuten sich, machten, dass sie Land gewannen.

"Hier her!", hörten sie jemanden rufen. Es klang klar, nicht gedämpft, wie wenn jemand von der materiellen Seite rief. Phobos kannte die Stimme.
Kivutar stand etwas entfernt in einer Hauseinfahrt.

"In dem Haus ist keiner, dort können wir erstmal unterkommen."

So schlüpften sie durch die Tür, die im Zwielicht verrottet aus den Angeln hing. Kivutar öffnete ein Geistertor, und es war, wie durch einen warmen Schwall Luft zu gehen, der nicht mehr aufhörte. Sie waren wieder materiell.

Belladonna half Phobos, sich auf das klobige Designersofa im Wohnzimmer zu setzen, während die restlichen Magier aus dem Nichts auftauchten.

Wo zum Henker waren sie denn hier?

Phobos sah an sich herab. Seiner Kleidung war jegliche Farbe gewichen und die Stoffe hingen zerfleddert an ihm herab. Als hätten sie Ewigkeiten auf einem Dachboden verbracht.

"Danke." wisperte er heiser und zog die Leopardendecke am Fuße des klobigen Sofas über sich. Selbst hier war ihm unglaublich kalt... Und er fühlte sich noch kränker und fieberiger, als heute Morgen. Schüttelfrost und Gliederschmerzen, gepaart mit Husten begleiteten die nächsten Minuten.

Es wurde voller.

"Schließt die Rollläden", ordnete Kivutar an.
"Keiner verlässt ohne Verschleierungsmagie dieses Haus."

Sie wendete sich Phobos und Belladonna zu.
"Ich gehe zurück. Bleiben Sie erstmal hier."
Die Provostin wendete sich an letztere.
"Sie sollten ihn warm halten."
Dann ging Kivutar. Belladonna machte sich auf die Suche nach weiteren Decken.

"Wie geht es Ihnen?"
Die Thearchin war neben das Sofa getreten.

"Soll ich Ihnen einen Tee machen?"

Ein Schmunzeln breitete sich über die blauen Lippen aus.

"Zu einem Tee, sage ich niemals nein." Er zitterte unter der Decke. "Schwarz bitte."

Sie nickte mit einem freundlichen Lächeln und verschwand, vermutlich in Richtung Küche.
Einen Augenblick später kam Belladonna wieder, eine Daunendecke auf dem Arm. Während einige der anderen Magier vorsichtig aus den Fenstern spähten, deckte sie Phobos zusätzlich zu.

"So. Ganz schön kalt da drüben."
Sie lächelte aufmunternd.
"Jetzt sollte es aber gleich warm werden."

"Es ist nicht die Kälte von dort. An die bin ich gewöhnt." entgegnete er blaulippig und hustend.. "Es ist die Kälte des Abgrunds, die ich in mich einschloss."

Sie nickte langsam, schauderte unwillkürlich.
"Du hast dich etwas übernommen, denke ich."

Phobos nickte zustimmend.

"Es war eine Extremsituation." erwiderte er. "Panische Menschen tun dumme Dinge. Das Risiko war zu groß, als dass ich keinen zweiten Weg hätte öffnen sollen."

"Also vor mir brauchst du dich nicht zu rechtfertigen. Das war schon schnell und effektiv reagiert in der Situation."
Sie ließ sich auf einem Sessel in der Nähe nieder.

"Wüsste zu gerne, was das war."
Draußen hörte man Sirenen von vorbeifahrenden Einsatzfahrzeugen.

"Nicht nur du." erwiderte er.

Dann verdrehte er die Augen und sah nach Sh'aoc.

Er sah das Hotelzimmer, den Fernseher. Irgendeine Dschungelschlange war in der Flimmerkiste auf Beutefang und wurde von dem Typen kommentiert, der gefühlt jeder Doku seine Stimme lieh.

Und damit war er wieder im Hier und Jetzt.

"Was sagtest du?" fragte er auf Geradewohl.

"Nichts. Ich habe keine Ahnung."
Etwas summte.

"Mein Telefon... Moment."
Sie sprang auf und nahm ab.

"Ja? Kava! Ja..."
Sie hörte angestrengt zu.

"Okay... ja... ja, ich gebe es an so viele wie möglich weiter."
Langsam ließ sie das Handy sinken.

"Es besteht wohl keine direkte Gefahr mehr. Die Minutemen haben die Situation unter Kontrolle."
Mit einem Aufatmen ließ sie sich wieder in den Sessel plumpsen.

"Und was war die Situation?" hakte er nach.

Sie legte eine Hand an den Mund und schloss die Augen, dann gab sie ein etwas ersticktes Geräusch von sich und ließ die Hand wieder sinken.
"Ein Attentäter hat einen Sprenggürtel gezündet. Die drei Flurwachen sind... tot."

Phobos nickte ernst.

"Kling so, als sei Gehirnwäsche im Spiel." dachte er nach.

Sie nickte und blinzelte.
"Scheiße... verdammte Scheiße. Das kann doch nicht wahr sein..."
Sie rang sichtlich mit den Tränen.

"War wohl ein Schläfer. Irgendwelche Gedankenmagie war im Spiel."

Genau das sagte ich gerade.

"Lass es raus. Niemand verurteilt dich." entgegnete er, um Takt bemüht.

Eine einsame Träne lief über ihre Wange.

"Nein!", stieß sie dann hervor und sprang auf.

"Ich wird nicht hier sitzen und heulen. Ich gehe wieder rüber und sehe, was ich tun kann. Du ruh dich hier weiter aus."

"Verschleier dich so gut du kannst." riet er ihr erinnernd. "Der wahre Attentäter kann in der Nähe sein."

"Keine Sorge ich bin vorsichtig."
Sie lachte ein freudloses Lachen.
"Und wenn ich den wahren Attentäter erwische, kann er sich warm anziehen."
Damit ging Belladonna, auf dem Weg sprach sie noch einige der anderen an, um sie aufzuklären.

Indessen brachte die Thearchin eine dampfende Tasse Tee und stellte sie auf dem Tischchen vor dem Sofa ab.
"Kann ich Ihnen sonst noch etwas bringen?"

"Nichts, danke." erwiderte Phobos schmal lächelnd und griff vorsichtig nach der heißen Tasse Tee. Kraftlos ließ er sie auf dem Tischchen stehen, als er merkte, wie schwer ihm selbst eine einfach Tätigkeit wie eine heiße Tasse heben fiel.

"Ich habe mich nur übernommen und brauche jetzt vor allem Ruhe." Ein Husten begleitete den Satz. "Es war gut, dass Sie die Ruhe behalten haben."

Die anderen Magier hatten Grüppchenweise begonnen, Verschleierungszauber anzuwenden und das Haus dann zu verlassen.

"Ich muss zugeben, es hat Kraft gekostet den Impuls zu unterdrücken, einfach loszurennen. Sie haben sich ja auch vorbildlich verhalten und Ihre Magie zum Wohl der Allgemeinheit eingesetzt. Das ist es, was in solchen Extremsituationen gebraucht wird."
Sie nickte anerkennend.
"Und Sie haben persönlich die Konsequenzen getragen. Ich glaube, das würde nicht jeder tun."

Phobos schmunzelte entkräftet.

"Aus manchen Fehlern lernt man nicht." erwiderte er mit dem ihm eigenen Galgenhumor und wirkte damit vermutlich unangemessen bescheiden. Erst gestern hatte ihn dieses selbstverstümmelnde Verhalten beinahe umgebracht.