[Cassie] Elementare Prinzipien

"Also... das ganze mit den Erwartungen und den Orden, das fragst du am besten Ukko."
Tapio warf einen Seitenblick auf Ukko, der sich gerade wieder setzt.

"Ich bin ja hier, um dir was über deine Fähigkeiten zu sagen. Du hast einerseits Macht über das Leben, andererseits über Geister und ihre Welt. Du wirst das Leben spüren können und Geister sehen. Du wirst heilen und verwunden können, und deine und die Form anderer Menschen verändern. Du wirst Eigenschaften von Tieren übernehmen und dich später völlig in Tiergestalt begeben können. Du wirst die Geisterwelt sehen und betreten können und mit den Geistern dort kommunizieren können, mit ihnen verhandeln, sie vielleicht sogar deinem Willen unterwerfen, wenn das dein Weg ist."

Er winkte ab.
"Aber das ist alles nur Theorie. Wenn du willst, kann ich dich anleiten, grundlegende Magie selbst zu wirken. Ukko sagte, wir könnten dafür das Ritualzimmer hier im Sanctum verwenden."

"Klar gerne, ich würde mich freuen. Und wenn du wieder weg musst, kann ich ja mit Ukko über den theoretischen Teil reden."
Cassie stand auf und wartete auf ihn.

"Alles klar."

Tapio erhob sich geschmeidig wie eine Katze und gemeinsam gingen sie nach oben, wo sie einen der anderen Räume in der Wohnung betraten. In der Mitte stand ein massiver Tisch, in dessen Mitte ein kleines Edelstahlbecken eingelassen war. An den Wänden standen Regale und Schränke, die mit allerhand Zeug vollgepackt waren. Tapio ging herum und suchte einige der Dinge aus und legte sie auf den Tisch.

"Du hast ja schon gezaubert, habe ich mir sagen lassen. Also weißt du, was zum Imago gehört: Die Vorstellung im Kopf, was passieren soll, und der Wille, das auch Realität werden zu lassen. Mehr braucht man eigentlich nicht, aber man kann es sich einfacher machen, indem man die Vorstellung im Kopf mit tatsächlichen Gegenständen, Orten oder bestimmten rituellen Handlungen unterstützt, die eine symbolische Bedeutung für den Zauber und eine Verbindung zur Höheren Welt haben. Ein klassisches Beispiel wäre, Magie entlang eines Stabes zu kanalisieren, der dann nur noch aus dem richtigen Material bestehen muss. Andere Werkzeuge sind Kelche, Münzen, Spiegel oder Waffen. Für uns Thyrsus müssen diese Dinge aus Holz, Kupfer, Stein oder natürlich vorkommenden Materialien sein."

"Naja irgendwie stimmt es. Irgendwie habe ich schon gezaubert.
Also wenn ich das richtig verstanden habe, dann könnte ich als Beispiel Magie auf eine Kupfermünze zu kanalisieren und dann besser zaubern. Richtig? Kann man Magie auch auf andere Gegenstände kanalisieren? Wie zum Beispiel Ringe, Ketten oder Wollstulpen?"

"Ich weiß nicht, ob kanalisieren das richtige Wort ist. Es ist nicht so, dass du die Gegenstände selbst verzauberst. Es ist mehr so, dass sie das Bild des Zaubers verstärken. Du kannst dich einfach so in meinetwegen einen Wolf verwandeln. Dich in einer mondhellen Nacht, während du dich in einem kleinen Waldsee spiegelst und die Hohen Worte der Verwandlung sprichst in einen Wolf zu verwandeln geht aber wesentlich einfacher von der Hand."

Er sortierte nebenbei die Gegenstände.

"Man findet vielleicht Möglichkeiten, auch andere Gegenstände zu verwenden. Die Orden benutzen ihre eigene Symbolik... aber das kann dir dann später jemand erklären, wenn du dich für einen Orden entschieden hast. Hm... welche Art von Magie interessiert dich denn? Ansonsten würde ich mit den Grundlegenden Sachen anfangen."

"Ja am besten fangen wir mit den Basics an."

"Gut. Die Arkana geben uns der grundlegenden Ebene ungemein viele Informationen über die Dinge, die sie umfassen. Das Lebensarkanum kann dir viel über Lebewesen verraten, das Geisterarkanum über Geister. Versuche dir vorzustellen, wie du das Leben um dich herum spüren kannst, die feinen Funken der Lebenskraft, die von allem ausgehen, was lebt. Und dann stell dir vor, wie dieses Gefühl sich um dich herum ausdehnt und am Ende dieses ganze Haus umfasst... in jeder Ritze, in jeder Ecke kann das Leben stecken!"

Er reichte ihr eine hölzerne Schale mit geschnitzten Verzierungen.
"Die Schale hält das Wasser, den Ursprung allen Lebens. Stell dir vor, wie diese Schale alles Leben in diesem Haus umfasst, und wiegt, und deinen Sinnen zeigt. Sprich die Worte: Enthülle das lebendige Netz, zeige den Quell der vitalen Kraft!"

Die letzten Worte sprach er in einer merkwürdigen Sprache, deren Silben eigentlich keinen Sinn ergaben, mit jedem Wort aber eine tiefe Wahrheit auszudrücken vermochte.

Spoiler:

Cassie stellte sich vor, wie das Wasser alles Leben im Haus umfasst, so wie Tapio es ihr erklärt hatte.
Sie stellte sich vor wie alles um sie aus kleinen Molekülen bestand und das jedes dieser Moleküle nur vor Lebensenergie triefte, dann stellte sie sich vor wie das Wasser aus der Schale jedes dieser Moleküle einfing. Eine Suppe oder ein Tee aus Moleküle.
Bei dieser Vorstellung musste sie grinsen. Dann wiederholte sie die Worte, die Tapio vorher gesagt hatte. Das tiefe Gefühl der Wahrheit breitete sich in ihr aus und löste ein Gefühl der Freude aus.

Ihre Magie begann zu wirken und sie spürte - sah um sich her alles, was lebendig war, ein unendlicher Teppich verschieden großer Formationen vitaler Kraft, von denn feinen Geweben der Staubmilben bis hin zu Spinnen in verborgenen Ecken und Mäusen oder Ratten, die irgendwo, vermutlich unter dem Fundament unterwegs waren. Ebenso erschienen diverse Pflanzen nun deutlich belebter, und ähnliche Energien konnte sie auch rings herum im Haus wahrnehmen. Auch Tapio erschien im Glanz des Lebens, ein Geflecht aus Adern. Unter ihren Füßen spürte sie weitere, ähnlich große Lebens-Signaturen. Eine schien über etwas gebeugt: War das Ukko, der den Tisch abräumte? Zwei weitere mussten in einiger Entfernung im Untergeschoss sitzen, und mit ihnen war noch eine dritte Lebenskraft im Raum... größer als die Ratten, aber deutlich kleiner als die Menschen. War das irgendeine Art Tier?

"Und?", fragte Tapio und sah sie mit einem schmalen Lächeln von der Seite an.

"Wie ist es?"

Cassie war vollkommen überwältigt von den Eindrücken, die sie gewann.
"Es ist unglaublich"
Sie grinste breit. Sie verfolgte die Bewegungen der Lebens-Signaturen weiter und beobachtete das Treiben und das Gewusel.
"Ist hier ein Hund? Oder eine Katze?"

"Ja, ist es, nicht wahr? Ich glaube, unten in den Büroräumen wohnt auch eine Katze. Du kannst deine Wahrnehmung auch filtern... jetzt ist es wahrscheinlich ziemlich überwältigend, weil du einfach alle Lebewesen siehst. Wenn du den Zauber wirkst, kannst du dein Bild im Kopf, dein Imago so ändern, dass du meinetwegen nur Katzen oder nur Menschen wahrnimmst. Naja... wenn du genug gesehen hast, dann lass den Zauber entschwinden. Du musst dir einfach nur kurz dein Imago vor Augen führen und es dann... wegwischen, oder wegdriften lassen, irgendwie so."

Tapio nahm ihr die Holzschale aus den Händen und stellte sie vorsichtig auf dem Tisch ab.

"Du kannst mit dem Lebensarkanum nicht nur das Leben um dich herum und in der Entfernung spüren, es kann dir auch einiges über eine einzelne Lebensform sagen, die du betrachtest. Wie alt jemand ist, welches Geschlecht eine Person hat, was für eine Spezies du da vor dir hast, ob jemand verletzt oder krank ist, aber auch wie stark und geschickt jemand ist. Die Worte dazu sind Entschlüssle die Mysterien des Lebens. Versuche diesmal, dir selbst ein Bild, ein Imago zu schaffen, um den Zauber zu wirken - Imagos sind nicht vorgegeben, und jeder muss ein bisschen selbst herausfinden, welche Metaphern und Bilder für ihn oder sie gut funktionieren. Versuch diesmal, das Bild fest in deinem Kopf zu behalten und dich weiter darauf zu konzentrieren und die Worte immer wieder zu sagen. Dann kannst du dich zwar auf nichts anderes konzentrieren, aber das stärkt die Magie."

Spoiler:

"Ehmm soll ich 'das' auf dich wirken? Oder besser gesagt versuchen es auf dich zu wirken?"
Sie schaute ihn fragend an.

"Achso... ja und nein. Eigentlich wirkst du das auf dich, weil du ja diese Dinge erfahren willst. Aber du schaust mich dabei sozusagen näher an", erklärte er bereitwillig.

"Hmm ja, das ergibt irgendwie Sinn."

Dann stellte sie sich vor, wie das Wasser aus der Schale,welche nun wieder auf dem Tisch stand,  die Lebenskraft in ihrer Umgebung erneut einfing, sie konzentrierte sich dabei primär auf Tapio. Danach stellte sie sich vor, dass das Wasser Tapio nicht nur umspülte, sondern auch irgendwie 'durchspülte'und dass es dabei Informationen sichtbar machte. Und dann sprach sie die von ihm genannten Worte.

Vor ihrem geistigen Auge durchspüle das Wasser Tapio tatsächlich und verwirbelte sich dann in kuriose Quellgebilde, die sie instinktiv deuten konnte. Sie sah einen Wirbel, der die Spezies Mensch bedeutete, auch wenn dieser um einige zusätzliche Ausläufer ergänzt war. Sie sah die Marker seines Alters, das ungefähr ihrem eigenen entsprach. Auch sein männliches Geschlecht erkannte sie an der Zusammensetzung einer Wasserspirale. Darüber hinaus wirkten alle Wasseräste gesund, frei von Krankheiten oder Verletzungen. Zu guter Letzt erahnte sie noch ein Maß seiner körperlichen Leistungsfähigkeit. Das Wasser in seinen Muskeln zeigte sich kraftvoll und dehnbar. Sie schätzte, dass er stärker und auch agiler als sie selbst war, aber sie beide ähnlich ausdauernd waren.

Spoiler:

Cassie keuchte überrascht auf, sie hatte nicht damit gerechnet, dass es tatsächlich funktionieren würde.
Deshalb schaute sie nun Tapio überrascht an und ein leichtes Grinsen stahl sich auf ihr Gesicht. Sie war stolz und erfreut.
"Können das alle Thyrsi? Und machst du das auch öfter?"

Er nickte.

"Nicht nur alle Thyrsus, sondern alle, die die Grundlagen des Lebensarkanum beherrschen. Ich benutze das hin und wieder, um zu sehen, ob jemand gesund ist. Und naja, der menschliche Körper hat eine gewisse Resistenz gegen manche Lebenszauber, damit kann man das dann auch einschätzen...wenn man zum Beispiel jemanden gegen seinen Willen verwandeln will - nicht, dass man das machen sollte."

Spoiler:

"Ja das ist sehr nützlich."
Sie dachte an ihren Bruder, als dieser mit den Drogen voll gepumpt war. Sie schüttelte den Kopf um die Gedanken zu vertreiben und fragte dann:
"Wer beherrschte denn die Grundlagen des Lebensarkanum alles? Und Ehm ja Leute gegen ihren Willen zu verwandeln, habe ich noch nicht als mein Hobby entdeckt, daher werde ich deine Empfehlung berücksichtigen."

"Grundsätzlich kann jeder Erwachte die Arkana erlernen, die ihn - oder sie - interessieren. Die, naja, ich sage mal 'angeborenen' Arkana gehen einem eben leichter von der Hand, man beherrscht sie zumeist schon ein bisschen, ohne sie lernen zu müssen, und es fällt einem leicht, sie weiter zu entwickeln. Bei anderen Arkana sollte man sich einen Lehrer suchen."

Tapio sortierte die Gegenstände.
"Bereit für die nächste Übung?"

"Klar"
Cassie war voller Tatendrang.

Er lächelte und nickte.
"Alles klar! Also du hast bis jetzt das Leben selbst und seine Energien gesehen. Aber das Lebensarkanum kann dir auch die Eigenschaften von Tieren geben, beispielsweise ihre Sinne. Du kannst riechen wie ein Wolf, sehen wie ein Falke, hören wie eine Fledermaus... alle diese Tiere sind auch eine gute Inspiration für das Imago..."

Während er sprach, reichte er ihr einen kleinen Handspiegel mit kupfernem Rahmen und Griff.
"Der Spiegel steht für Sicht, Seele, das Selbst. Immer gut geeignet, um Zauber auf sich selbst zu wirken...verleihe mir die Augen der Bestie, das Gehör des Tiers sind die Worte."

Spoiler:

Sie nahm den Spiegel in ihre Hand. Schaute Tapio an und dann in der Spiegel.
Sie stellte sich einen Wolf vor und dann stellte sie sich vor, wie ihr Gesicht und das des Wolfes fusionierten. Eine seltsame Mischung zwischen Wolf und Mensch entstand vor ihrem inneren Auge.

Sie hörte mit einem mal viel deutlicher - Tapios Atem, der regelmäßig ging, die Geräusche der Straße, Autos, die in der Entfernung vorbeifuhren. Und sie sah schärfer und kontrastreicher, konnte selbst feine Spinnweben in entfernten Ecken mit erstaunlicher Klarheit wahrnehmen. Am überwältigsten aber waren die Gerüche... sie roch Staub, feinen Blütenduft einer Pflanze, die auf der Fensterbank stand, die Reste von Shampoo und dezentes Deodorant, und darunter ein Geruch, den sie noch nie aktiv wahrgenommen hatte - der Geruch nach Mensch! Und sogar dieser unterschied sich noch - sie selbst roch anders als Tapio, und sie glaubte sogar noch die feinen Spuren eines dritten... nein, von drei anderen Menschen neben Tapio und ihr selbst in diesem Raum zu riechen.

Sie schaute sich im Raum um, warf Tapio aber dann einen überraschten Blick zu.
"Das ist...Wow... Kannst du das auch?...Das ist unglaublich."
Ihr fehlten die Worte.
Einem Impuls folgend stand sie auf und betrachtete alles im Zimmer genauer.
Die Struktur der Pflanzen, die Bücher und dann warf sie noch einen Blick durchs Fenster. Die Aussicht war beeindruckend. Und sie zog tief die Luft ein und schnüffelte?.
Hmm das ist unglaublich... Und ich dachte vorher schon, ich hätte eine gute Nase... Wie lange kann man den Geruch wahrnehmen? Oder waren hier noch welche?
Sie schaute sich noch einmal im Raum um.

Er nickte.
"Ja... es ist eine wertvolle Fähigkeit."

Im Raum war niemand außer Tapio und ihr selbst. Und sie hatte natürlich keine Erfahrungswerte, wie lange man Gerüche noch wahrnehmen konnte, nachdem jemand einen Ort verlassen hatte.

"Für unseren nächsten Trick brauchen wir ein Tier. Wie gut, dass du rausgefunden hast, dass hier im Haus irgendwo eins sein muss. Dann kannst du ja jetzt mal sehen, ob du es erschnüffeln kannst."

Spoiler: